von Andrea Karminrot | Dez. 28, 2020 | Rezension |
Miss Benson ist schon eine seltsame Person. Sie scheint ein wenig übergewichtig zu sein, ihre Kleidung ist eher (sehr) abgenutzt, ihre Schuhe längst durchgelaufen und ihre Haare sehen aus, als trüge sie ein Vogelnest spazieren. Fünf Jahre ist es her, dass der zweite Weltkrieg vorbei ist. Noch immer gibt es in London nicht alles zu kaufen und Lebensmittel nur auf Bezugskarten. Miss Benson unterrichtet an einer Schule, erklärt den Mädchen ihrer Klasse, wie man mit den vorhandenen Konserven ein ordentliches Essen auf den Tisch zaubert. Doch als die Mädchen, die noch nicht Fünfzigjährige, ihres Aussehens wegen ärgern, dreht Margery Benson plötzlich durch. Sie bestiehlt ihre Konrektorin und läuft einfach weg.
Margery Benson hat in jungen Jahren ihren Vater und ihre Brüder an einem Tag verloren. Ihre Mutter hat dieses Schicksal auch nie verarbeitet und war Margery nie nah. Das einzige was Margery geblieben ist, sind die Erinnerungen an den Vater; über ihre gemeinsame Liebe zu Käfern. Miss Benson setzte sich in den Kopf, den goldenen kleinen Käfer, den ihr Vater ihr gezeigt hat, zu finden. Sie macht sich auf den Weg nach Neukaledonien. Nicht alleine, mit einer Frau die sie vorher nie gesehen hat, reist sie mit dem Schiff um die halbe Welt.
Sarkastisch mit Humor
Rachel Joyce schreibt ihrem Roman Miss Bensons Reise, in einem leicht sarkastischen, schwarz angehauchten Humor und einer sympathischen Art. Es ist ein leichtes in den Roman einzusteigen und die seltsame Miss Benson auf ihrer merkwürdigen Reise zu begleiten. Schon 2012 hatte mir der Roman Die unwahrscheinliche Pilgerreise des Harold Frey sehr gut gefallen. Auch dieser hochgelobte Roman war in einer ähnlichen Art geschrieben. Doch Miss Benson, gefällt mir um einiges mehr.
Ihre schrullige Art, die durchgeknallte Freundin Enid und der seltsame Mr. Mundic (die anderen Hauptrollen) sind so unterhaltsam, dass man das Buch kaum aus der Hand legen mag.
Rachel Joyce war nie in Neukaledonien, wo der goldene Käfer angeblich gesichtet wurde, und doch beschreibt sie die Umgebung in den buntesten Farben, so dass man sich mitten im Urwald wähnt. Ich bin jedenfalls absolut begeistert. Eine tolle Unterhaltung und ein Mutmach-Buch für Frauen, die sich vielleicht mal aus ihrer Komfortzone herauswagen sollten, um das Abenteuer zu suchen. Lebe endlich aus, was du tief in dir spürst, aber nie heraus lassen würdest, weil man es dir nicht zutraut. Finde die Freundin, die dich über den Tod hinaus begleiten würde!
Miss Bensons Reise
Ein Roman von Rachel Joyce
Übersetzt von Maria Andreas
ISBN 9783810522337
480 Seiten
FISCHER Krüger Verlag
Dieser Roman gehört natürlich zu den Dezember-Büchern. Er hat mich in einer ziemlich schweren Zeit begleit!
von Andrea Karminrot | Aug. 27, 2020 | Buch des Monats, Historie, Rezension, Roman |
Wieder ist es die Zeit, die uns einen Streich spielt. Joe, ein Stellwerker im großen Grand Central Station in Manhattan, trifft eine junge Frau und ist von Anfang an von ihr bezaubert. Es ist das Jahr 1937, aber irgendwie scheint die junge Frau aus den 1920er Jahren zu stammen. Nora hat eine Kurzhaarfrisur und das Kleid, das sie trägt, passt nicht so recht in die Zeit. Aber das hält Joe nicht davon ab, Nora anzusprechen und sie zu einer Tasse Kaffee einzuladen. Es muss wohl Liebe auf den ersten Blick gewesen sein. Nora bittet Joe, sie nach Hause zu begleiten. Es ist Winter und Nora trägt keinen Mantel. Joe ist ganz der Kavalier, hilft ihr in seinen eigenen Mantel. Im nächsten Moment werden sie von einem Mann angepöbelt, nachdem Joe für Ruhe gesorgt hat und sich umdreht, ist Nora verschwunden, nur sein Mantel liegt noch auf der Straße.
Ein Jahr später, trifft Joe Nora auf dem Bahnhof wieder. Sie knüpfen sofort wieder an dem Punkt an, an dem sie sich verloren haben. Er hat sie vermisst. Sie erzählt ihm mit der Zeit einiges über sich und gibt ihm ihre Telefonnummer. Und doch passiert es wieder, dass sie einfach verschwindet. Joe versucht bei ihr anzurufen und erfährt, dass Nora schon vor einiger Zeit auf dem Grand Central Station tödlich verunglückt ist. Und doch hat er mit ihr geredet und sie berührt und geküsst. Sie kann nicht Tod sein.
Joe bekommt heraus, wann Nora wieder auftauchen wird und wartet auf sie. Und als er sie dann wieder in den Armen hält, will er sie nie wieder los lassen. Eine besondere Liebesgeschichte beginnt.
Die Zeit
Solche Zeitengeschichten liebe ich einfach. Meistens klappt es nicht, dass die Geschichten hundertprozentig zusammen passen. Doch hier stimmt es. Nora‘s Geschichte wird immer wieder erläutert und anfangs machte mir das Buch auch wirklich Spaß zu lesen. Joe kümmert sich aber nicht nur um seine Liebe, sondern auch noch um seinen Bruder und dessen Familie. Und dabei verheddert sich meines Erachtens nach die Autorin. Die Geschichte gleitet immer wieder ab und wird phasenweise langweilig. Dabei hat es so gut angefangen. Zum Ende hin, nimmt das Buch wieder Fahrt auf und es wird noch gerade so spannend, dass man es zu Ende lesen möchte. Ich hatte immer die Hoffnung, dass es doch zu seinem Anfangsflow zurückkehrt. Doch so richtig fand die Geschichte nicht dorthin zurück.
Ich habe mir mehr bei diesem Klappentext versprochen. Trotzdem stelle ich es natürlich gerne zu meinen Bücherstapel für den August und bei Monerls bunte Welt. Eine vielleicht andere Meinung findest du bei Herzgedanken.
Mit dir für alle Zeit
Autorin Lisa Grunwald
512 Seiten
Haper Collins Verlag
ISBN 9783959674027
von Andrea Karminrot | Jun. 26, 2020 | Buch des Monats, Linkparty, Nachdenklich, Roman |
Der Wal und das Ende der Welt
In der der Bucht in Cornwell taucht ein Wal auf und ein nackter, nasser (und vielleicht toter) Mann liegt auf dem Strand. Es ist ein winziger Ort in Cornwell, die Lehrerin des Dorfes bezeichnet den Ort als „ein winziger Pickel auf der äußersten Spitze des kleinen Zehs“. Ein Wal ist kein gutes Omen, so unkt der alte Fischer Garrow. Als der Wal, ebenso wie der junge Fremde auf dem Ufer strandet, entwickelt sich eine Gemeinschaft, die mit vereinten Kräften versucht, das riesige Tier zurück ins Wasser zu schieben.
Was ich gelesen habe
John Ironmonger hat eine seltsame, aber bezaubernde Art zu schreiben. Seine Sätze klingen leicht verworren und er nimmt immer schon einiges voraus, das erst in der nächsten Zeit geschehen wird. Aber auch immer wieder geht sein Blick zurück in die Zeit, als seine Hauptfigur Joe Haak noch ein Junge war. John Ironmonger beschreibt seine Akteure mit einem schelmischen Unterton, der jeden zu einem Unikat macht. Sicherlich ist es auch so, dort am Ende der Welt, dass jeder etwas Besonderes ist.
Der Roman ist ganz und gar nicht langweilig und keineswegs überzogen und man macht sich ein gutes Bild von dem Dorf St. Piran mit seinen 307 Einwohnern. Der Wal taucht noch ein paar mal auf und Joe Haak hat eine besondere Rolle in dem Stück. Er schafft es, eine besondere Gemeinschaft zwischen den Dorfbewohnern herzustellen und widerspricht damit der Theorie, dass der Mensch in einem Katastrophenfall, zu einem „Killer und Strauchdieb“ wird. Joe bringt die Dorfbewohner noch enger zusammen. Nächstenliebe und Solidarität, statt Egoismus und Hass. Ein wenig spielt der Autor mit schwarzem Humor. Was dem Roman die Extraprise Pfeffer verleiht.
Seltsam, dass ich diesen Roman gerade jetzt in die Finger bekommen habe. Denn wie in der Wirklichkeit, spielt in diesem Roman ein Virus eine große Rolle. Die Menschheit wird durch eine Epidemie herausgefordert und John Ironmonger hat ein Szenario vorausgesehen, das wir gerade erleben. Erschreckend, da der Autor das Buch 2015 veröffentlicht hat und es erst letztes Jahr bei uns heraus kam. Wie die Menschen in dem Dorf mit der Krise umgehen, dass macht schon Mut, mit unserer derzeitigen Situation klar zu kommen. Wenn wir nur alle zusammenhalten.
Der Autor
In einem Interview sagte der Autor John Ironmonger: „ Wie schnell Fiktion zu Realität wurde! Als ich mit Jared Diamond sprach, waren wir in einem kleinen Eck des Paradieses der Insel Sumatra. Jegliches Gerede von Pandemien und Apokalypse erschien sehr phantasievoll und ein bisschen absurd. Ich fühlte mich wie ein Verrückter, der warnt: »Das Ende der Welt naht!«.
John Ironmonger kennt Cornwell und die ganze Welt. So steht es in seinem Autorenprofil, beim Fischerverlag. Er lebt mit seiner Frau in England. Zur Zeit genießt er es, in der Selbstisolation zu leben. Das Paar genießt den Strand „Oft treffen wir dabei keine weitere Seele. Das hat uns relativ fit gehalten – und gesund. Das würde ich Menschen raten: Eine ruhige Stunde suchen, um zu spazieren oder laufen zu gehen, wenn es die Vorschriften erlauben….“
Übersetzer: Tobias Schnettler (wurde 1976 in Hagen geboren und studierte in Hamburg Amerikanistik. Er arbeitet als freier Übersetzer in Frankfurt a.M..) und Maria Poets
ISBN: 978-3-596-70419-4
480 Seiten
Verlag: FISCHER Taschenbuch
Auch diesen Roman stelle ich zu den Juni-Büchern
von Andrea Karminrot | Apr. 4, 2020 | Historie, Nachdenklich, Rezension, Roman |
Ach Virginia
Wer kennt sie nicht, Virginia Woolf? Eine Schriftstellerin und Verlegerin, die für so manche Texte in der Frauenbewegung der Siebziger Jahre verantwortlich war. Aber wer war diese Virginia Woolf eigentlich wirklich. In London am 25. Januar 1882 in eine wohlhabende Intellektuellen-Familie hinein geboren, nahm sie sich am 28. März 1941 das Leben. Sie schrieb unzählige Romane. Viele erzählten unterschwellig aus ihrem Leben.
In dem Buch Ach Virginia, beschreibt der Autor Michael Kumpfmüller die letzten zehn Tage im Leben von Virginia. Eine Frau, die in tiefen Depressionen steckt und mit ihrem Leben abgeschlossen hat. Dabei ist sie noch verhältnismäßig jung. Hat ein gutes Leben auf dem Land, in einem wunderschönen Cottage mit ihrem Ehemann Leonard. Leonard liebt sie, obwohl die Ehe eher schwierig scheint. Er versucht alles, um seiner Frau Lebenswillen und -freude zu vermitteln. Aber alles lastet wie schwere Steine auf der Seele von Virginia. Sie lebt zwar mit Leonard, aber Liebe war es wohl nie, die sie an ihn gebunden hat. So zumindest vermittelt es das Buch. Virginia schien sich mehr zu Frauen hingezogen zu fühlen. 10 Tage. Das Ende einer großen Schriftstellerin.
Michael Kumpfmüller berichtet mit einer schönen Wortwahl über Virginia. Das Gedankenkarussell der Frau und ihre Empfindungen, ziehen den Leser in seinen Bann und stoßen zugleich ab. Mich haben die Gedanken der Schriftstellerin fast ebenso in eine Depression gezogen, welche die Hauptakteurin durchlebte. Schwierig, wenn man selber für solche Düsternis anfällig ist. Manchmal musste ich das Buch beiseite legen, um wieder zu Atem zu kommen.
Die letzten 10 Tage
Virginias Leben war nicht einfach und vieles in dem Roman deutet darauf hin, dass die Schriftstellerin schlechte Erfahrungen mit Männern gemacht hat. Leonard, ihr Mann ist so aufmerksam, kümmert sich und versucht seine Frau zu retten. Doch Virginia will sich nicht retten lassen. Ihr ganzes Streben besteht darin, sich das Leben zu nehmen. Schlaflos und überreizt wirkt Virginia auf den Leser. Psychisch überlastet zieht es die Frau in Richtung Tod. Immer wieder versucht sich die Autorin in ihren Erinnerungen und Tagebüchern wieder zu finden. Fühlt sich von den Besuchen ihrer Schwester Vanessa belästigt und doch versöhnt. Sie unterhält sich mit Gespenstern und sucht die Nähe, sowie die Entfernung zu ihrem Mann. Gaukelt ihm Normalität vor.
Kupfermüller beschreibt ein Leben, das verwirrt, mit Gespenstern behaftet und von (Alb-) Träumen zersetzt ist. Am Ende stand ich selber verwirrt da und habe mir die Geschichte Virginia Woolf‘s im Internet heraus gesucht. Ob ich den Roman wirklich gut fand, das kann ich nicht sagen. Für den, der es erträgt, ist der Roman bestimmt gelungen.
Verlag: Kiepenheuer&Witsch
240 Seiten
ISBN: 978-3-462-04921-3
von Michael Kumpfmüller
von Andrea Karminrot | Mrz. 23, 2020 | Biografie, Buch des Monats, Rezension |
Rosie
Rosie wurde Rose Tremaing genannt, bis sie ins Internat kam. Davor hatte das Mädchen ein tolles zu Hause in England. Zumindest wenn man es als Außenstehender betrachtete. Mehrmals im Jahr durfte Rosie und ihre Schwester Jo zu den Großeltern auf‘s Land, in das alte Landgut der Familie fahren. Es waren aber weniger die Großeltern, die die Kinder mit Wärme empfingen, als mehr das alte Haus und die Bediensteten. Rosie‘s Mutter Jane war nie in der Lage Liebe zu zeigen. Und auch die Großmutter zeigte kaum, dass sie ihre Enkelinnen liebte. Sie trauerte stets ihren toten Söhnen nach, übersah die Mädchen dabei völlig. Aber das hielt die Kinder nie davon ab, gerne auf das alte Landgut zu fahren.
Rose Tremain erzählt in diesem kleinen Büchlein aus ihrer frühen Jugend und aus ihrem Teenagerleben. Die Autorin hatte es nicht leicht, obwohl sie in sehr guten Verhältnissen aufwuchs. Aber Geld heißt nicht, gleich geliebt zu werden. Zum Glück gab es eine Nanny, die den beiden Mädchen die Liebe gab, die sie brauchten.
Nach außen schien diese Familie völlig normal und intakt zu sein. Aber sind das nicht die meisten Familien? Was hinter verschlossenen Türen vor sich geht, ist nicht immer ersichtlich. Rosie und ihre Schwester Jo, wurden schon früh ins Internat abgeschoben, weil die Mutter Jane sich nicht in der Lage sah mit den beiden Mädchen zurecht zu kommen. Jane traf sich lieber mit ihren Freunden. Nach den Beschreibungen der Autorin, brauchte die Mutter sich aber auch kaum zu kümmern, es gab ja die Nanny. Auch der Vater war zwar im Haus anwesend, aber doch nicht da. Außerdem verließ er die Familie, nachdem er sich in eine deutlich jüngere Frau verliebte.
Ich habe dieses Buch sehr schnell verschlungen und war entzückt über all die schönen Sätze, die ich lesen durfte. Auf vielen Seiten nimmt die Autorin Bezug auf ihre Romane und macht Lust darauf, diese zu lesen. Rose Tremain hat einiges aus ihrem Leben in ihren Romanen aufgearbeitet. Allerdings finde ich, dass sie auf ziemlich hohem Niveau jammert. Ja, sie wurde in ein Internat gesteckt in dem es immer kalt war, das Essen nicht reichlich und ausgewogen genug war. Die Mutter beschimpfte und degradierte ihre Töchter immer wieder und die Mädchen wurden früh von ihrem Vater verlassen. Und doch erlebte das Kind Rosie doch sehr viel Gutes und bewahrte sich eine Lebenslust, die sie zu einer sehr guten Schriftstellerin machte.
Was ich sehr schön fand, waren die Fotos der Familie, die man auf einigen Seiten zu sehen bekommt. Dieses Buch stelle ich gerne in das Märzregal
211 Seiten
Insel Verlag
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