von Andrea Karminrot | Jun 22, 2017 | Rezension, Roman |
von Megan Hunter
Naturkatastrophen können unser Leben komplett verändern
England wird vom Wasser größtenteils überschwemmt. Die Menschen versuchen, sich hilflos und verzweifelt in Sicherheit zu bringen. Eine junge Frau bekommt, kurz bevor das Wasser auch die Kliniken in London überschwemmt, dort ihr erstes Kind. Ihr Gefährte versucht mit seiner kleinen Familie eine Zuflucht zu finden, die sicher ist. Aber am Ende, verschwindet auch der Vater und Mutter und Kind müssen sich alleine durchschlagen. Allein diese innige Beziehung hält die Frau über “Wasser”
Megan Hunter hat einen gewaltigen und doch poetischen Debütroman geschrieben. Roman ist hier vielleicht nicht der richtige Ausdruck. Ihr Text ist in kurzen Zitaten, fast Verse, zu lesen. Durchsetzt mit Textpassagen aus mythologischen und religiösen Texten wirkt es wie ein Blick in das Tagebuch einer Mutter, die die Entwicklung ihres Kindes und die Zustände ihrer Umwelt festhalten möchte. Fast emotionslos werden einem die Umstände hingeworfen und doch spürt man gewaltig die Liebe und die Angst um das Kind. Hinter jedem Abschnitt kann man in seinen eigenen Gedanken die Geschichte weiterspinnen und hat Spielraum sich Szenarien vorzustellen. Megan Hunter gibt nur Bruchstücke der Geschichte frei und lässt uns die Freiheit, zu Ende zu denken. Damit wird dieses Buch zu einem Mammutwerk. Erschütternd, ohne viele Worte und doch zart und liebevoll.
Mich hat dieses 160 Seiten starke Büchlein sehr beschäftigt. Wie gesagt, es sind nicht viele Worte in dem Buch zu finden und doch habe ich über eine Woche gebraucht, um es zu lesen. Spannend war es auch, dass die Autorin keine Namen in dem Werk verteilte, sondern nur Buchstaben.
Was macht es mit einem, wenn man sich nicht an einem Namen festhalten kann ?….
Wie einfach man sich dann von der Figur verabschieden kann, wenn sie verloren geht, ist mir damit erst bewusst geworden. Bindungslos.
Ich kann es absolut empfehlen!
Verlag : C. H. Beck
160 Seiten
Gebunden mit Schutzumschlag
von Andrea Karminrot | Mai 11, 2017 | Jugendbuch, Rezension, Uncategorized |
Etwas für das Herz und die Seele
Heute, möchte ich dir einen Kinofilm ans Herz legen. Ein Film der nach einem Buch verfilmt wurde, das es schon seit 2011 gibt. Selten habe ich erlebt, dass ein Film mindestens so gut war wie das Buch! Aber in dem Fall, kann ich nur sagen, egal, was du zuerst in den Händen hältst, nimm es! Und vergesse die Taschentücher nicht!
In Sieben Minuten nach Mitternacht geht es um einen dreizehn Jahre alten Jungen. Connor, hat einen Albtraum. Er steht an einem Abgrund und kann die Hand nicht halten, die sich ihm entgegen streckt. Jedes Mal wird er wach, bevor der Traum zu Ende ist.
Normal ist das Leben von Connor nicht. Seine Mutter ist schwer krank und ist oft für den Jungen nicht ansprechbar. Der Dreizehnjährige hat in der Schule Ärger, einige Jungen ärgern ihn wegen seiner glatzköpfigen Mutter, sie hänseln ihn und machen Connor zum Opfer ihrer Schikanen. Zu allem Übel soll dann auch noch die akkurate Großmutter den Jungen zu sich nehmen, solange die Mutter wieder einmal ins Krankenhaus muss. Der Vater lebt mit einer neuen Frau in Amerika, auf den kann sich Connor auch nicht verlassen. Und dann taucht sieben Minuten nach Mitternacht ein Monster vor Connors Fenster auf. Der Junge hofft schon auf Hilfe, auf jemanden, der ihn vor den Schikanen in der Schule schützt, oder die Großmutter zum Teufel jagd. Stattdessen will die alte Eibe (das Monster) Connor Geschichten erzählen. Und am Ende, will sie die Geschichte des Jungen hören…
Geschichten sind das Gefährlichste von der Welt, knurrt das Monster. Geschichten jagen, beißen und verfolgen dich.
Alle nehmen ständig Rücksicht auf die prekäre Situation des Jungen, nur, um ihn nicht zusätzlich zu stressen. Und merken gar nicht, wie Connor, nur um ein wenig Normalität bettelt. Egal was er tut, er kommt mit allem “durch” und fühlt sich immer elender. Das Monster ist weise und uralt, hat Erfahrung und schon so viel gesehen. Es ist der Einzige, der Connor ernst nimmt. Genau das, was er braucht, um damit klar zu kommen, weil seine Mutter sterben wird. In dem Buch finden sich Zeichnungen, die man auch in dem Film wiederfindet. Außerdem Bilder vom Film.
Patrick Ness hat die Idee von Siobhan Dowd, die leider viel zu früh verstorben ist, aufgenommen und hat daraus einen Jugendroman über den Verlust und die Hoffnung geschrieben. Die Figuren sind ganz einfach beschrieben und der Text passt, so dass auch ein junger Mensch sehr wohl versteht, um was es hier geht.
In dem Film wird Connor, von Lewis MacDougall gespielt, ein zwölfjähriger Junge aus Schottland, der noch keine große Hollywood Erfahrungen hat. Sigourney Weaver, die die Großmutter spielt, war von ihrem jungen Kollegen sehr angetan und brachte ihm großen Respekt entgegen, “Die Rolle von Connor ist eine sehr anspruchsvolle, physisch und emotional. Lewis war dabei so tapfer, so präsent und so authentisch. Ich habe tatsächlich noch etwas von ihm lernen können, weil er immer so sehr im jeweiligen Augenblick ist “ Juan Antonio Bayona, der Regisseur, enthielt dem jungen Schauspieler das Ende des Drehbuchs vor, damit Lewis den Connor so natürlich und authentisch wie möglich spielen sollte “Und genau das war es, womit Lewis uns schließlich auch beschenkte “
Mich hat der Film Tage danach noch beschäftigt. Immer wieder musste ich an den Jungen denken und an den kleinen Schauspieler.
Beides, Buch sowohl der Film, haben mich zu Tränen gerührt. Absolut daran denken, egal ob Film oder Buch, nimm Taschentücher mit.
Verlag: Cbj (Random House)
Patrick Ness/Siobhan Dowd
Übersetzt von Bettina Abarbanell
Illustriert von Jim Kay
Taschenbuch, Broschur
von Andrea Karminrot | Nov 4, 2016 | Rezension, Roman |
Lebe einzigartig und ohne Bedauern
Rachel ist eine starke Frau, die weiß was sie will. Sie ist aber auch einsam und wenn es ihr allzu trist wird und sie sich nach ein wenig “Liebe” sehnt, nimmt sie sich einen Kerl und holt sich, was sie braucht. Sie erforscht Wölfe und lebt in Amerika. Aber ihre wirkliche Heimat ist der Norden Englands, kurz vor der Schottischen Grenze. Dort ist sie geboren, als Tochter einer ebenso freien Frau, die ihrer Tochter das Starke mit auf den Weg gegeben hat. Aber Rachel ist auch einsam. Sie hat sich in ihrer Welt in Amerika gegen ihre Familie abgeschottet und lebt ihr eigenes Leben.
Als Wolfsforscherin hat sie sich einen Namen gemacht. Und so will sie ein reicher Engländer für sein Projekt, Wölfe wieder in den englischen Bergen anzusiedeln, für sich gewinnen und lädt Rachel zu sich, auf die Grafschaft ein. Rachel weiß was sie will, und das ist nicht, nach England zurückkehren. Und so wenig Kontakt mit ihrer Familie wie nur möglich. Aber das Angebot ist doch zu verlockend und so springt sie über ihren Schatten und siedelt nach England um.
“Anders, als er es normalerweise tun würde, geht er nicht auf das Geplänkel ein, sondern fixiert sie mit einem Blick, geduldig, schutzlos. Und das überzeugt sie, dass unter dem Schweigen doch mehr ist, etwas sehr Reales. Das Unaussprechliche ist stets lauter als das deutlich Erklärte.”
Seite 80
Es ist mir nicht schwer gefallen, mich in diesem Buch wohl zu fühlen. Ich mag starke Frauen, die ihren Weg gehen, selbstbewusst sind und sich nicht verschrecken lassen, nur weil da so ein Macho auftaucht. Rachel ist eine solche Frau. Die Widrigkeiten, die sie zu so einer Stärke gebracht haben, werden so nach und nach offen gelegt.
Allerdings habe ich mir mehr Wölfe in dem Buch vorgestellt. Wölfe die auf vier Beinen daher kommen. Aber ich habe den Verdacht, es geht hier mehr um die zweibeinigen Wölfe. Denn auch unter den Menschen gibt es solche Exemplare. Sie sind sozialisiert, wissen sich zu benehmen, aber wehe, sie werden losgelassen. In diesem Buch geht es um Konflikte, um soziales Miteinander, um Wildnis und etwas Politik und Sex.
“Das Altwerden ist nicht zum Lachen. Das kann ich dir sagen. Ich hasse es. Das wird dir genauso gehen. Steigt aus dem Bus aus, wenn es soweit ist.”
Seite 54
Ich habe jede Seite genossen und war gerne mit Rachel in ihrem Leben unterwegs. Ein schönes Buch, um mal so richtig abzuschalten und in schönen Gedankenbildern zu schwelgen. Sarah Hall kann schreiben und nimmt auch ihre Leser mit. Sie ist 1974 in Cumbria kurz vor der Schottischen Grenze geboren. Sie kennt also das Land und seine Menschen sehr gut, von denen sie schreibt.

Mir gefallen die originalen Cover allerdings besser.
geschrieben von Sarah Hall
übersetzt von Nikolaus Stingl
erschienen bei Knaus Verlag
448 Seiten
ISBN: 978-3-8135-0679-2
von Andrea Karminrot | Feb 26, 2016 | Rezension, Roman |
Vincent, in England ein erfolgreicher Geschäftsmann und Familienvater, wird von seiner Frau in seine Heimat nach Frankreich, zu seinen Eltern geschickt. In Frankreich fühlt er sich in die alten Muster seiner Kindheit zurückgedrängt. Er sieht seine ehemaligen Freunde wieder und beurteilt sie, obwohl er sie schon seit Jahren nicht gesehen hat. Er kritisiert das Leben, das seiner Eltern und das seines jüngeren Bruders. Und doch sind alle miteinander sprachlos, reden nicht über die Dinge, die gesagt werden sollten. Seine Schwägerin ist ihm schon immer etwas schwierig vorgekommen, doch wird sie die Einzige sein, die ihm endlich die Wahrheit sagt.
„Meine Mutter interessierte sich nämlich für fast alles und jeden _ Nachbarn, Verwandte, die Freunde ihrer Söhne, die Stadträte und Fernsehstars. Sie stürzte sich begeistert auf das Leben anderer, um ihr eigenes zu vergessen….“Seite 84
Jean-Philippe Blondel schreibt, wie sein Protagonist denkt. In kurzen, knappen Sätzen werden wir mit in die Vergangenheit genommen, bekommen einen Überblick woher Vincent stammt und was ihn dazu brachte nach England zu gehen. Blondel hat eine sehr unterhaltsame Art zu schreiben. Sarkastisch, nachdenklich, humorvoll, tragisch. Er lässt eigentlich nichts aus. Selbst die Liebe hat einen kleinen Platz in diesem Buch gefunden, obwohl es hier hauptsächlich um Freundschaft geht.
“…sobald er etwas getrunken hatte, zu blubberndem Champagner wurde. Zu einem spritzigen und sonnigen Wesen, das die Dinge sagt, die das Ohr erfreuen und deren Geschmack einem am Gaumen haften bleibt.”…Seite 24
Was mich fasziniert hat, Blondel beschreibt nicht haarklein, sondern deutet nur an, was sofort zu Kopfkino führt und die fehlenden Worte damit aufgefüllt werden. Er beschreibt in knappen Sätzen ganze Gefühlswelten.
In einem
Interview mit ihm habe ich gelesen, woher er die Ideen nimmt. Am liebsten sitzt er in Cafés und “belauscht” die Gespräche an den Nachbartischen. Am Ende sucht er ein Musikstück, das er während des Schreibens in Endlosschleife hört. Es wäre vielleicht auch für den Leser ein Versuch wert, wie sich das Buch mit diesem Song liest…”This is not a love song”
übersetzt aus dem Französischen von Anne Braun
Erscheinungsdatum: 01.02.2016
224 Seiten
Deuticke Verlag
Fester Einband
ePUB-Format
ISBN 978-3-552-06319-8
von Andrea Karminrot | Sep 26, 2015 | Rezension, Roman |

Ein Roman von Rowan Coleman
Der Romantitel mutet recht kitschig an. Doch wenn man sich erst einmal in die Seiten vertieft und die wunderbar beschriebenen Figuren kennengelernt hat, ist man nicht mehr dieser Überzeugung. Hier geht es nämlich um mehr. Hier geht es um Glück, Hoffnung und Geborgenheit. Darum jemanden neben sich zu haben, wenn es schwer wird. Es geht um Abschied nehmen, auf altmodische Art, indem Briefe mit der Hand geschrieben werden. Denn die Hauptfigur Stella schreibt solche Briefe, für ihre Gäste, in dem Hospiz, in dem sie Nachts als Krankenschwester arbeitet. Es sind Abschiedsbriefe. Es sind Worte, die noch gesagt werden müssen, bevor man diese Welt verlassen kann. Angefangen hat es damit, dass eine Patientin Stella darum bat, für sie einen Brief an ihren Mann zu schreiben. Sie wollte sichergehen, dass er die Waschmaschine auch nach ihrem Tod bedienen kann. Es kamen weitere, manchmal nachdenkliche, Briefe hinzu. Zwanzig kurze Zeilen, voller Liebe… Rowan Coleman hat in einem echten Hospiz recherchiert, die liebevoll beschriebenen Situationen in ihrem Buch sprechen dafür.
Stella ist wie gesagt Krankenschwestern in einem Hospiz, in dem sie, nachdem ihr Mann Vincent aus Afghanistan zurück gekehrt ist, den Nachtdienst übernommen hat. Es ist eine Flucht in die nächtliche Arbeit, denn das Paar hält es unter einem Dach nicht mehr aus. An Leib und Seele schwer verletzt, versucht Vincent seine Gedanken mit Alkohol zu ertränken. Die Beiden hatten einmal, vor dem Angriff, die wunderbarste Beziehung der Welt . Auch Hope, Gast in dem Hospiz, hat es nicht leicht. Sie hat Mukoviscidose, eine tödliche Erbkrankheit. Sie wartet jeden Tag darauf zu sterben, ist sarkastisch, manchmal etwas zu direkt und lebt in ihrem Schneckenhaus, aus dem sie, ihr bester Freund Ben, heraus locken möchte. Er ist stets bei ihr und macht ihr Leben lustiger, bunter. Doch da steckt noch mehr dahinter. Und schließlich gibt es da noch Hugh, der am Ende der Straße, nicht weit vom Hospiz entfernt, in einem Haus voller Erinnerungen wohnt. Seine Geschichte löst sich erst später auf… Die oben beschriebenen Briefe, sind dabei kleine Bindeglieder zwischen den einzelnen Kapiteln. Rowan Coleman verpasst jedem ihrer Charaktere, einen eigenen Sprachstil. Lässt die Figuren lebendig wirken.
Ich habe oft beim lesen eine oder zwei Tränen in den Augen gehabt. Konnte sie aber auch bald mit einem schmunzeln wieder wegwischen. Denn Rowan Coleman hat eine Art, die schweren Gedanken mit Witz zu umschreiben, ohne dabei die Situation ins lächerliche zu ziehen. Es ist eine wahre Freude dieses Buch zu lesen. Auch wenn es hier um den Tod, um das Verlassen werden geht. Ich hatte leider noch nicht das Vergnügen ihr erstes Buch „Einfach Unvergesslich“ zu lesen. Das werde ich aber bestimmt bald nachholen.
Rowan Coleman lebt in England, mit ihrem Mann und ihren 5! Kindern, darunter einem lebhaften Zwillingspaar und seit neuestem einem Hund, der aus ihrem Arbeitszimmer stets hinaus- und wieder hineingelassen werden möchte. Ich weiß nicht, wie diese Frau es schafft, zwischen dem „hinter ihren Kindern herjagen“, auch noch solche Bücher zu schreiben.
Erscheinungsdatum Erstausgabe : 31.08.2015
Verlag : Piper
ISBN: 9783492060172
Flexibler Einband 416 Seiten