von Andrea Karminrot | Apr. 14, 2021 | Krimi, Rezension, Roman |
Was ist schon die Wahrheit?
Harry Quebert und Markus Goldstein sind Freunde. Sie sind beide Schriftsteller. Der eine, Harry Quebert, hatte seinen letzten großen Roman vor dreißig Jahren geschrieben und Markus Goldmann erst vor einem Jahr, hat nun aber die Schriftstellerkrankheit. Er kann gerade nicht schreiben. Aber während der sechzigjährige Harry alles recht gelassen nimmt, verzweifelt Markus fast, weil ihm nichts Neues einfallen will. Harry wiederholt immer wieder, dass dem viel jüngeren Freund bestimmt noch etwas einfallen wird und unterstützt ihn in seinen Bemühungen.

Und dann wird es brenzlig
Und dann kommt der Tag, an dem es für Harry brenzlig wird. Denn der vor dreißig Jahren geschriebene Roman handelt von seiner eigenen Liebe zu einem fünfzehnjährigen Mädchen. Abgesehen davon, dass das Mädchen noch minderjährig war, ist sie vor 30 Jahren spurlos verschwunden. Brenzlig wurde es für Harry, als seine Gärtner in seinem Garten eine Leiche finden. Vermutlich die Leiche von der minderjährigen Nola Kallergan, Harrys großer Liebe. Der Autor wird verhaftet und Markus ist der einzige Freund, den er anruft und um Hilfe bittet.
Dieser Fall erschüttert ganz Amerika. Der gefeierte Schriftsteller Harry Quebert wird entehrt und die Presse findet immer mehr Kleinigkeiten über den Mann und das Mädchen heraus. Aber was ist die Wahrheit? War es so wie alle denken? Oder gab es da jemand anderen, der einen Grund gehabt hätte das Mädchen Nola zu töten und dem Schriftsteller in seinem eigenen Garten zu begraben.

Marcus wird von seinem Verleger dazu gedrängt die Geschichte Harry Quebert als einen (Entlastungs-) Roman zu schreiben. Anfangs stellt sich der junge Schriftsteller noch recht stümperhaft an, seine Ermittlungen aufzunehmen. Als er dann auch noch bedroht wird, verbeißt er sich förmlich in die Aufgabe, die Unschuld des alten Freundes zu beweisen.
Immer mehr Menschen tauchen auf, die etwas über das Mädchen wissen und immer öfter fragt man sich, ob es nicht auch der eigene Vater, die Mutter, der Kumpel, die Bedienung aus dem Diner gewesen sein könnten.
Die Wahrheit ist…
Ich war am Anfang noch nicht ganz überzeugt, dass mir dieser Roman/Krimi gefallen könnte. Doch der Autor Joël Dicker hatte mich schnell erwischt.
Auf den ersten Seiten, konnte ich den jungen Marcus Goldmann nicht leiden. Nachdem er seinen ersten Roman veröffentlicht hatte, schwamm der junge Mann im Geld. Gab es mit vollen Händen aus und hielt sich für den Fabelhaften. Doch das sollte sich bald ändern. Sobald der Schriftsteller sich seiner Wurzeln bewusst wurde, seinem Freund zu Hilfe eilte und sich in den Fall hineinkniete, fand ich ihn sympathischer. Immer wieder zweifelte ich an der Schuld von Harry Quebert. Immer mehr Informationen tauchten auf und damit immer mehr die Wahrheit über Harry Quebert. Der Roman ist gut geschrieben und hat einen absoluten Suchtfaktor.
Der Roman krempelt die Geschichte von verschiedenen Seiten auf. Mal erfährt man was damals 1975 geschehen ist. Jeweils aus der Sicht der Menschen die im beschaulichen Aurora, an der Küste New Hampshire gewohnt haben (und meistens dort noch wohnen). Mal liest man, was Harry dem jungen Schriftsteller Marcus Goldman erzählt und was Goldmann erlebt, während er versucht einen Roman über das verschwundene Mädchen zu schreiben.

Wunderbar geschrieben. Amüsant, riskant und verschwörerisch. Eine wirklich spannende Unterhaltung. Tatsächlich wird man immer wieder auf eine falsche Fährte geführt, was ich an einem guten Krimi sehr schätze! Und immer wenn du denkst, du weißt wer es war, dann macht der Roman noch einmal eine Wendung. Geschickt!
Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert stelle ich sehr gerne in die Sammlung der Bücher für den April.
Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert
Ein Roman von Joël Dicker
Übersetzerin Carina von Enzenberg
736 Seiten
ISBN 978-3-492-30754-3
Piper Verlag
von Andrea Karminrot | Apr. 8, 2021 | Historie, Rezension, Roman |
Griet muss ein Glückskind sein! Sie hatte einen langen Weg hinter sich. Eigentlich stammt Griet aus den Niederlande, war eine politisch Gefangene im KZ Außenlager Giesing und musste in der Munitionsfabrik AGFA arbeiten. Als die Alliierten den Krieg beendeten, wurden die Frauen des Lagers von den Deutschen in das Umland getrieben. Der lange Marsch endete in der Nähe von Wolfratshausen. Griet und die vielen Gefangenen kamen, dicht gedrängt, in den Scheunen der Bauern unter. Die Amerikaner nahmen sich den verwahrlosten Frauen an.

Im Laufe der Zeit kamen immer mehr befreite Menschen in den Lagern zusammen und die Amerikaner sorgten dafür, dass die befreiten Menschen wieder in ihre Heimat zurück gebracht wurden. Griet schlug das Angebot aus, nach Haarlem zurück zukehren. Sie wollte lieber in der Nähe des Amerikaners Captain Dan bleiben, in den sie sich während ihrer Befreiung verliebt hatte. So bekam sie die Möglichkeit nach München zu ziehen.
Toni Brandel (Antonia) ist Anfang Zwanzig, als der Krieg zu Ende war. Zusammen mit ihrer Mutter, Tante, Cousin Benno und der Großtante Vev, bewohnt sie eine große Wohnung mitten in München. Alles ist knapp. Nahrungsmittel, Heizmaterial und Kleidung. Aber Toni scheint ein wahres Improvisationstalent zu sein. Immer wieder hat sie das Glück an Lebensmittel oder Tauschwaren zu kommen. Dabei stolpert sie über Louis, einen Mann der zu schön ist, um ihn sich als Partner vorzustellen. Doch sie kann es nicht lassen. Immer wieder an den Filou zu denken oder ihm aus dem Weg zu gehen. Louis hat es auf die hübsche Toni abgesehen und hilft ihr immer wieder an Schwarzmarktware heran zu kommen.

Griet und Toni treffen sich das erste Mal in der Wohnung in München, in die der Amerikanische Captain, Griet’s Freund sie einquartiert hat. Griet ist Scheu und spürt die Abneigung der Münchner Frauen gegen sich. Aber Wohnraum in der Stadt ist nun mal knapp und so bleibt sie. Die beiden jungen Frauen werden sich im Laufe der Zeit anfreunden. Überleben, Nahrungssuche und Herzensdinge wirken fast wie ein Krimi.
Die Glückskinder Griet und Toni
Schon auf den ersten Seiten von Glückskinder hatte mich die Autorin abgeholt. Geschichten aus dem zweiten Weltkrieg oder die Nachkriegszeit, ziehen mich immer wieder magisch an. Die Teresa Simon schreibt unkompliziert und macht ihre Figuren sehr sympathisch. Schufte, Diebe und brutale Nazis sind genauso gut beschrieben, wie die Glückskinder Griet, Toni, Dan, und die vielen andere. Man findet sich in dem schwer zerstörten München wieder und empfindet mit den Figuren die Hungersnöte und leidet den eisigen Winter 1946/47 mit. Doch es ist noch mehr, es ist ein Neuanfang. Die Menschen lernen sich zu arrangieren und versuchen das Beste aus dem Wenigen zu machen, was vorhanden ist. Ich hatte sehr viel Freude am lesen.

Die Autorin
Brigitte Riebe schreibt unter dem Pseudonym Teresa Simon. Sie ist promovierte Historikerin, ist selber in München aufgewachsen und hat dadurch einen besonderen Bezug zu den Schauplätzen in diesem Roman. Sie hat ein klein wenig die Erfahrungen aus der Nachkriegszeit ihrer Familie einfließen lassen. Die Autorin hatte die damalige Zeit nicht selber erlebt, ist sie doch erst 1953 geboren. Aber viele ihrer Schauplätze sind leider viel zu real.
Noch mehr Glück findet man hier. Außerdem stelle ich dieses Buch gerne in die Reihe der April-Bücher
Ein Roman von Teresa Simon
Heyne Verlag
512 Seiten
ISBN: 978-3-453-42406-7
von Andrea Karminrot | Apr. 2, 2021 | Nachdenklich, Roman |
Das Leben ist zu kurz für irgendwann, das muss auch die irische Terry feststellen. Als sie ihre beste Freundin Iris besuchen möchte, findet sie das Haus aufgeräumt und verlassen vor. Sehr seltsam, weil doch Iris nicht zu den besonders ordentlichen Menschen gehört. Und dann findet sie im Arbeitszimmer zwei Umschläge. Einen an sie selber adressiert und einen an Iris Mutter. Sie reißt den Umschlag auf und findet eine Art Abschiedsbrief. Herrjeh, was hatte denn nur ihre Freundin vor? Aus Versehen leuchtete dann der Laptop auf und Terry erkannte, dass ihre Freundin heute mit der Fähre nach London übersetzen wollte. Terry ist fest entschlossen Iris von ihrem Vorhaben abzubringen. Sie fährt so schnell sie kann in den Hafen, um ihre Freundin dort abzufangen. Mit im Auto sitzt der demente Vater von Terry, den sie kurz bevor sie Iris besuchen wollte aus dem Pflegeheim abgeholt hatte.

Iris hat MS. Eine schleichende Krankheit, die ihr jeden Lebenskomfort so nach und nach abspricht. Vor einem Jahr noch, konnte sie ohne Hilfe laufen. Heute geht sie mühsam an Krücken. Iris weiß was sie noch erwarten wird und so will sie dem Ganzen ein Ende machen, bevor sie hilflos zur Last wird. Sie hat sich dazu entschlossen, in die Schweiz zu reisen und sich dort das Leben zu nehmen.
Terry ist eine pedantische Person. Iris und sie sind seit einigen Jahren dicke Freundinnen und könnten nicht unterschiedlicher sein. Während Iris das Leben liebt und es in vollen Zügen genießt, ist Terry ständig damit beschäftigt sich Gedanken um die Folgen jedes Handgriffes zu machen. Selbst wenn sie sich Kleidung kauft, überlegt sie wie sie die am Ende waschen und bügeln muss. Immer macht sie sich um ihre erwachsenen Töchter Gedanken und ihr Leben ist absolut durchorganisiert. Im Grunde lebt sie freudlos vor sich hin ohne es zu merken. Auch die Beziehung zu ihrem Mann scheint in einer Sackgasse zu stecken

Iris lässt sich dazu überreden, dass sie ihre Freundin Terry nebst dem dementen Vater bis zur Schweizer Grenze begleiten dürfen. Aber nur bis dahin und über ihr Vorhaben wird nicht geredet. Die Reise wird zu einer persönlichen Entdeckung für Terry. Sie lernt das Leben zu genießen. Sie reflektiert sich, verändert sich mit jedem Kilometer, den die Drei sich der Schweizer Grenze nähern.
Mein Eindruck
Ich habe das Buch innerhalb kurzer Zeit verschlungen. Das lag wohl einerseits daran, dass der Text keine großen Ansprüche stellt. Der Roman liest sich so herrlich schnell und unterhaltend. Ist an vielen Stellen sehr lustig und doch immer wieder sehr tiefgründig.
Was aber noch mehr überzeugt hat, war das Thema. Eine Frau die schwer genug erkrankt ist und sich zum Suizid entschließt. Eine wirklich mutige Entscheidung, die immer noch nicht gut geheißen wird. Aber wer will schon vor sich hin vegetieren, abhängig von dem Goodwill der Pflegenden. So lange man sich noch entscheiden kann und es äußern kann, sollte es doch jedem offen stehen! Daneben die Gefühle der Freundin, die mit ansehen muss, wie eben diese in den Tod gehen will. Als liebender Mensch daneben zu stehen und Händchen zu halten, während man doch noch den so agilen Körper der Person wahrnimmt. Schwer los zu lassen und Abschied in Frieden zu nehmen.

Ein Roman von Ciara Geraghty
Übersetzt von Sibylle Schmidt
ISBN: 9783442315550
384 Seiten
Goldmann Verlag
Ein anderes Buch vom Leben und dem Tog ist Lebensgeister von Banana Yoshimoto
von Andrea Karminrot | März 24, 2021 | Jugendbuch, Rezension, Roman |
Kronsnest. Auf einem kleinen Bauerngut direkt am Deich, an den Elbmarschen, lebt der 15 Jährige Hannes. Nie kann er es seinem Vater recht machen, der immer wieder Gewaltausbrüche hat und wenn der Junge mal etwas gut gemacht hat, schweigt. Die Mutter schaut weg und schweigt ebenfalls, verzieht sich lieber in ihre Welt der Bücher.

Hannes ist ein Träumer. Er schaut den Wolken nach und denkt sich Geschichten aus. Er träumt sich an den Abendbrottisch seines besten Freundes Thies und nimmt an dessen regen Familienleben teil. Hannes schafft es auch in seinen Träumen die leidigen und nervenden Klassenkameraden zu bekämpfen. Doch in der Wirklichkeit ist es dann doch anders und er muss Schlamm fressen oder Prügel einstecken.
Es sind die Jahre zwischen den Weltkriegen. Der Vater war Soldat in Flandern. Was er da wohl erlebt hat? Und dann taucht auch noch ein neuer Lehrer auf. Aus der Nähe von Königsberg, mit dem selben leeren Blick wie der Vater. Doch der ist anders als erwartet. Gibt dem Jungen Bücher.
Und dann ist da noch Mara. Die Tochter von dem ehemaligen Kaufmann Heesen, der sich mit dem Hof seines Bruders herumschlägt. Immer wieder muss Hannes an das Mädchen denken.
Hannes Mutter versucht immer wieder die Wogen zwischen ihren Männern zu schlichten. Aber wie es eben mit Jungen in der Pubertät schon seit Jahrhunderten so ist, sie sind merkwürdig. Einerseits möchten sie noch in die Arme der Mutter flüchten und gleichzeitig ihren Mann stehen!

Kronsnest, mein Eindruck:
Der Autor erzählt eine ziemlich unaufgeregte Geschichte. Ohne Schnörkel und unkompliziert begleitet man Hannes in seinen Flegeljahren durch eine Zeit, die damals bestimmt nicht so lustig war. Immerhin kam kaum ein Vater ohne Schaden, sichtbar oder unsichtbar, aus dem ersten Weltkrieg zurück. Auch beginnen gerade die Nazis sich immer mehr auszubreiten, denn auch den Bauern so hoch im Norden, ging es nicht so gut. Die großen Höfe in Ostpreußen bekamen Zuschüsse, während die Kleinen im alten Land knapsen mussten.
Der Roman liest sich so schnell und angenehm, dass es eine wahre Wonne ist. Obwohl die Geschichte an sich eine schwere Zeit beleuchtet. Er stellt keine großen Herausforderungen aber es liest sich einfach sehr angenehm und unterhaltend. Dabei ist Hannes selber ein absolut wortkarger Typ!
von Andrea Karminrot | März 15, 2021 | Nachdenklich, Roman |
Bernardine Evaristo ist die erste schwarze Frau die den Booker Prize in seiner 50 Jährigen Geschichte gewonnen hat.. Als ich dann auch noch den Klappentext gelesen habe, musste ich dieses Buch einfach haben und lesen. Da waren meine Erwartungen sehr hoch

Mädchen, Frau etc.
Bernardine Evaristo schreibt dabei recht seltsam. Ihre Texte enden nicht mit einem Punkt. Nur am Ende eines Kapitels findet man einen. Anfangs fand ich es recht verwirrend, aber schnell überliest man es einfach, denn die Texte sind einfach sehr flott geschrieben. Man wird mit Feminismus, Diskriminierung, Sexismus und Rassismus konfrontiert. Ich habe am Anfang gar nicht gemerkt, dass ich von einer schwarzen Frau gelesen habe. Das wurde mir erst später klar. Dabei habe ich mich selbst dabei ertappt, wie sehr ich doch in Schubladen denke. Selber Weiß, kann ich mich bestimmt nicht in die Frauen hineindenken, die mit einer anderen Hautfarbe in der weißen Gesellschaft lebt. Doch Bernardine Evaristo bringt es mir bei und zeigt dabei sehr viel ihrer Protagonistinnen.
Ihre zwölf Frauen lassen den Leser in ihre Welt blicken. Ihre Herkunft, ihre Wut und Liebe, ihren Lebenswandel. Jede Einzelne hat mich irgendwie in ihren Bann gezogen.
Es wird kein Blatt vor den Mund genommen, denn sie zeigen ihre Gefühle und breiten auch ihr Sexleben vor dem Leser aus. Es geht dabei aber mehr darum zu zeigen, wie bunt die Welt eigentlich ist. Nicht zu (ver-)urteilen, bevor man die ganze Geschichte kennt. Nicht jede Frau ist die schöne, selbstständige Geschäftsfrau, die ihren „Mann“ steht. Evaristo beschreibt auch die Frau, die sich ihrer Geliebten beugt, sich abhängig macht, genauso wie das Findelkind, das sich seinen Platz in der Gesellschaft erkämpfen muss.
Oftmals sind Evaristos Figuren maßlos überzeichnet, was irgendwie wieder bezaubernd ist.

12 Geschichten
Bernardine Evaristo stellt 12 Frauen/Mädchen in ihrem Buch vor. Dabei sind alle Geschichten irgendwie miteinander verbunden. Sie schieben sich ineinander, wie ihre Texte ohne Punkte. Den Anfang macht Amma, eine frauenverschlingende Frau der 60er Jahre. Sie ist eine fast wütende Person, die ständig gegen alles und jeden meckert und protestiert. Sie geht mit ihrer besten Freundin Dominique zu Theaterpremieren und weiß schon im Vorfeld, dass sie auf den oberen Rängen Bambule machen wird.
Selber versucht sie sich an Theateraufführungen und seltenst hat sie dabei Erfolg. Doch am Ende des Buches hat sie ihren Durchbruch. Eine Premiere, bei der die meisten der Frauen, die Evaristo beschreibt wieder zusammen kommen und das gute Theaterstück hoch loben oder zerreißen.
Ihre Tochter Yazz ist ein typisches Mädchen der 1990er Jahre. Offen für alles und stets bemüht über Hautfarbe, Religion oder sexistischen Neigungen hinweg zu sehen. Ständig die Umwelt im Auge und den neusten Trends folgend. Sie zieht möglichst aus allem den größten Nutzen.
Die beste Freundin Ammas, Dominique, macht ganz andere Erfahrungen, als sie auf ihre Frau trifft. Eine vegane, radikale, drogenunabhängige, radikalfeministische Lesbe. Nzinga ist unglaublich schön in den Augen Dominiques. Allerdings auch genauso einnehmend. Diese Erfahrung muss Dominique machen.
Aber auch die Geschichte von Megan ist anrührend. Sie wird von ihren Eltern von klein auf in die Mädchenrolle gedrängt. Sie muss mit Barbiepuppen spielen und wenn sie die unsäglichen Puppen versteckt, zerrt die Mutter sie wieder hervor. Megan begreift irgendwann, dass sie eigentlich in dem falschen Körper steckt. Aber sie begreift sich auch nicht als Mann. Es ist irgendetwas dazwischen. Sie lehnt sich auf und findet über einen Chatroom im Netz eine passende Gefährtin und ein Leben, dass zu ihr passt.
Zwölf Geschichten die berühren, die manchmal zum schmunzeln anregen. Aber was ihnen allen eigen ist, ist wach zu machen. Besser hin zu schauen und anzunehmen!
Dieses Buch hatte ich schon in meinen FebruarBüchern vorgesehen.
Die Autorin

Bernardine Evaristo wurde 1959 als viertes von acht Kindern in London geboren.
Sie ist Professorin für Kreatives Schreiben an der Brunel University London und stellvertretende Vorsitzende der Royal Society of Literature. Für ihren Roman Mädchen, Frau etc. wurde sie als erste schwarze Schriftstellerin 2019 mit dem Booker-Preis ausgezeichnet. (von der Verlagsseite)
Ein Roman von Bernardine Evaristo
ISBN 9783608504842
512 Seiten
Aus dem Tropen-Verlag
von Andrea Karminrot | Feb. 22, 2021 | Historie, Roman |
Erinnerungen aus Glas beginnt mit einem Prolog. Eine Frau streicht mit den Fingern über ein Regal mit achtundsechzig Flaschen aus buntem Glas. Nur eine einzige ist Rot. Die eine nimmt die alte Frau mit gekrümmten und nicht mehr ganz kraftvollen Fingern aus dem Regal. Sie kann nicht vergessen und diese Flasche lässt sie sich erinnern. Es sind Erinnerungen, die nicht immer gut sind und in diesem Fall würde sie gerne die Erinnerungen aus einem Keller an die Hollandsche Schouwburg in Amsterdam oder die vielen Kinder wegsperren…

Es sind drei Figuren, die in diesem Roman die Hauptrollen spielen.
Josie, eine forsche junge Frau, die sich schon immer mutig und vielleicht ein wenig zu blauäugig gegen den Abtransport der jüdischen Kinder in Amsterdam auflehnt.
Dann Eliese, die jüdische Frau, die hofft, nur weil sie auf der Puttkammer Liste steht, würde sie einen Vorteil haben, nicht auf den Zügen nach Westerbork oder nach Auschwitz einfach zu verschwinden. Stattdessen findet sie einen Weg, ihrer Freundin Josie die Kinder der jüdischen Familien zuzuspielen.
Und zu guter Letzt ist da Ava, die in der heutigen Zeit auf der Suche nach ihren Vorfahren ist und dabei über Geschichten stolpert, die ihr Angst machen.
Erinnerungen aus Glas
Der Roman ist in zwei Zeitebenen geschrieben. Ava reist im Auftrag ihrer Großmutter nach Uganda und trifft dort auf einen jungen Landon, der eine Kaffeeplantage leitet und dabei Kindern eine Schulbildung und ein gutes Leben ermöglicht. Ava ist im Auftrag einer Stiftung ihrer Familie unterwegs. Ganz nebenbei scheint die Familie des jungen Mannes auch etwas mit ihrer eigenen zu tun zu haben. Das löst sich erst sehr zögerlich im Roman auf.
Der andere Erzählstrang ist die Geschichte von Eliese und Jossie, die gemeinsam Kinder vor der Deportation aus Amsterdam während der Nazibesatzung retten wollen.

Die Autorin schreibt sehr aufwühlend. Ihre Protagonistinnen kämpfen mit ihren Gefühlen, während die eine das eigene Kind verstecken muss und viele jüdischen Kinder mit den Zügen nach Westerbork verschwinden. Welche Möglichkeiten haben die Frauen denn schon, Menschen zu retten? Zu sehen, wie immer mehr Sterne in Amsterdam verlöschen!
Teilweise habe ich den Faden bei der Suche von Ava verloren. Es ist schon sehr verwirrend ein Buch zu lesen, in dem so viele Personen vorkommen und dabei eigentlich keine Rolle spielen. Ein Stammbaum wäre vielleicht hilfreich gewesen, aber das hätte auch während Ava’s Familienforschung die Spannung genommen. Die Teile, in denen es um die Judenverfolgung ging, haben mich da weitaus mehr gefesselt. Wegen mir hätte es die Jetztebene nicht geben müssen. Zumal dieser Strang der Erzählung, teilweise sehr verwirrend war. Am Ende sind alle mit einander mehr oder weniger verwandt und eine (winzig) kleine Liebesgeschichte hat sich auch noch entwickelt.
Ich habe mich sehr gut unterhalten gefühlt und habe ganz nebenbei auch noch einiges gelernt. Ich fand zeitweise, dass die Autorin einfach zu viel wollte und nicht genug Seiten übrig hatte.

Über die Autorin
Melanie Dobson hat Journalismus und Kommunikation studiert und war als Werbeleiterin tätig, bevor sie sich mehr und mehr dem Schreiben widmete. Eine besondere Vorliebe hat sie für Bücher, in denen Geschichte und Gegenwart miteinander verknüpft werden. Mit ihrem Mann und ihren beiden Töchtern lebt sie in der Nähe von Portland, Oregon.
Ein Roman von Melanie Dobson
Aus dem Englischen von Silvia Lutz übersetzt
ISBN 9783963621895
368 Seiten
Verlag:Francke-Buch