Das letzte Feuer

Das letzte Feuer brennt oben, über dem Tal, in einem einzelnen Haus. Die alte Pélagie Arnaud möchte ihre Heimat nicht verlassen. Alle anderen sind schon ins Tal hinuntergezogen, nachdem man den reißenden Fluss, die Asse, eingedämmt und große Brücken gebaut hatte. Der Talboden ist üppig und ertragreich. Das Land groß genug, dass die Bevölkerung aus dem Bergdorf Orpierre-d’Asse sich dort ausbreiten konnte, Felder bestellen und reiche Ernten einfahren können. Pélagie bleibt starrköpfig und bleibt mit ihrer Enkelin oben in den kargen Bergen. Hier weiß sie mit Widrigkeiten umzugehen. Nur ihre Enkelin Berthe sehnt sich nach den Freunden. Zur Schule muss sie nun auch immer den Berg hinabsteigen und am späten Nachmittag wieder hinauf, mit einem Korb voller Lebensmittel, die die Oma nun nicht mehr oben besorgen kann.

Rubi die Lesemaus mit dem Buch Das letzte Feuer

Die Asse mag eingedeicht sein und doch stellt sie das Leben der Menschen im Tal auf harte Proben. Manchmal gelingt es ihr über die Ufer zu treten und doch wieder Keller oder Felder zu fluten. Manchmal ist es ein Nebel, der die Menschen krank macht. Die alte Pélagie hilft dann trotz ihres Alters immer wieder den Kranken. Oben auf dem Berg bleibt man eben ein bisschen fitter als dort unten in dem Tal. Irgendwann zieht es die Enkelin auch ins Tal und die Alte bleibt ganz alleine dort oben, nur mit ihren Ziegen und den Hühnern. Das Bergdorf verfällt immer mehr …

Man vermisste das alte Dorf aus Haut und Knochen, das windgepeitschte Geröll, das Dorf der Steinhaufen und Disteln, wo der Pflug auf Fels stieß, das lichte Dorf mit seinen steilen Abhängen, seinen holprigen Wegen, die gerade in den Himmel führen!

(Seite 51)

Das letzte Feuer

Es ist nur ein kleines Büchlein, mit nicht allzu vielen Seiten. Die alte Pélagie ist aufmüpfig, schimpft auf die Männer und versucht ihre Enkelin zu beschützen. Die Jugend muss ihre Erfahrung machen und am Ende ist eben nicht alles gut, kann aber gut werden. Menschen werden sich entwickeln, genauso wie die Natur und das neue Dorf. Das alte Dorf verfällt und die Autorin Maria Borrély, beschreibt die Umgebung mit unglaublichen Worten. Es fiel mir schwer, Fuß zu fassen in dem französischen Alpenland. Es war nicht die Geschichte, es waren die Namen. Zu viele derer und zu Französisch. Ich konnte nur mit Mühe alle Personen auseinander halten und doch hat mich dieses Buch in seinen Bann gezogen. Die Beschreibungen der Natur, die bissigen Beschreibungen der Menschen und der liebevolle Blick auf die Lieben, hat mir das Buch am Ende zu einem Erlebnis gemacht. Maria Borrély’s Roman wurde das erste Mal 1931 in Frankreich veröffentlicht.

Forellen springen wie Peitschenhiebe. Und die rauschende Asse schlägt übers Jahr unverdrossen ihre Kapriolen, verlässt ein Bett, um sich ein anderes zu graben, und wiegt dabei ihre Kiesel …
(Seite 19)

Die Autorin Maria Borrély …

… wurde 1890 in Marseille geboren und lebte ein Leben voller Kämpfe. Mistral, der erste von insgesamt vier Romanen, die innerhalb weniger Jahre entstanden, wurde 1930 auf Empfehlung von André Gide bei Gallimard veröffentlicht. Maria Borrélys Wunsch, selbst zu schreiben, entstand in der Künstler-Gruppe, der sie neben Jean Giono, dem Maler Bernard Thévenet, Gabriel Péri, Édouard Peisson und Paul Maurel angehörte. (Diesen Text habe ich mir von der Kanon Verlagsseite ausgeliehen)

Amelie Thoma hat den Roman übersetzt. Ich denke, es ist ein hartes Stück Arbeit einen solchen Roman so wiederzugeben, wie es sich die Autorin erdacht hat. Rubi und ich geben diesem Roman 🐭🐭🐭🐭🐭

 

Das letzte Feuer

Ein Roman von Maria Borrély
128 Seiten
Die Originalausgabe „Le dernier feu“ Gallimard NRF, erschienen 1931
Aus dem Französischen von Amelie Thoma übersetzt
ISBN 978-3-98568-113-6

Ein Tag und ein ganzes Leben

Henk liebt seinen Hund „Schurk“ sehr, es ist ein Kooikerhondje, eine alte holländische Rasse. Als er mit ihm seine Joggingrunde dreht, mag Schurk so gar nicht laufen. Ob das wohl an dem viel zu warmen Wetter liegen mag? Eine nette Frau, an einem Hausboot, bietet dem Hund etwas zu trinken an und siehe da, es geht wieder einigermaßen. Doch so richtig gut geht es dem alten Hund immer noch nicht. Henk beschließt, mit ihm zum Tierarzt zu gehen und der stellt fest, dass Henks treuer Begleiter ein Herzproblem hat, dass ihn nicht mehr lange leben lässt. Henk ist Krankenpfleger auf einer Intensivstation und er weiß sehr wohl, dass die Beiden nun nicht mehr viel Zeit miteinander haben werden.

So viele schöne Momente hatten Henk und sein Hund miteinander. Anfangs noch mit Henks Exfrau Lydia. Schurk liebt Musik, nicht alles, aber er hört bei dem einen oder anderen Stück aufmerksam zu. Er sorgt auch dafür, dass Henk nicht allzu sehr aus den Nähten platzt, denn sie müssen ja immer wieder ihre Runden drehen, wo Henk doch so gerne beim Essen etwas über die Stränge schlägt. Mit dem Gedanken, dass sein geliebter Hund sterben wird, zieht Henk an diesem Tag ein Resümee über sein bisheriges Leben.

„Es gibt nur weniges, wird Henk bewusst, dass ihn zusammenhält. Das muss man sich mal vorstellen. Henks Zellen erneuern sich täglich, er altert aber trotzdem. … Henk, wird von seinen Stimmungen überspült wie von einer unberechenbaren Flut. Und seine Erinnerungen kann Henk in der Pfeife rauchen. Die Empfindung, zu zerfallen wie Sand, war also nicht zufällig.“ Seite 43

Ein Tag und ein ganzes Leben

Das Buch dreht sich nur um einen einzigen Tag im Leben von Henk und Schurk. Nur ein Tag, an dem der Leser sich eine Meinung von dem Krankenpfleger, seiner Familie, seiner Beziehung zu dem Hund und der Welt bilden kann. Aber das reicht auch. Und es macht auch noch Mut, mal sein eigenes Leben zu überdenken. Hat mir das bisher gereicht, wo wollte ich hin und wo bin ich heute? Der Erzähler lässt seinen Blick über die Henk streifen und gibt dem Leser einen besonderen Blick auf ihn frei. Der Erzähler wird ein bisschen aus der Vergangenheit erzählen und nimmt den Leser mit zu dem, was sein wird. Irgendwie liest sich das Buch, als würde man in den Gedanken von Henk spazieren gehen.
In seiner ganzen Trauer um den schönen und treuen Hund trifft Henk auf eine neue Liebe und geht zufrieden in die Zukunft.

Der kleine Roman hat sich positiv gelesen und hat Spaß gemacht. Man hat als Leser das Gefühl, als würde man einfach so dazu gehören. Der kleine Roman ist einfach geschrieben und nimmt den Leser mit, gibt ein bisschen Trost.

Der Autor

Sander Kollaard, wurde 1961 in Amstelveen geboren und lebt seit 2006 mit seiner Familie in einem ehemaligen Pfarrhaus in Schweden. Im Jahr 2015 veröffentlichte er seinen ersten Roman. Sein Roman „Ein Tag und ein ganzes Leben“ wurde 2020 mit der wichtigsten Buch-Auszeichnung der Niederlande gewürdigt, dem Libris-Literaturpreis (Der Text stammt von der Verlagsseite)
Der Roman wurde von Bettina Bach und Maike Blatnik aus dem Niederländischen übersetzt.

 

Ein Tag und ein ganzes Leben

Ein Roman geschrieben von Sander Kollaard
176 Seiten
aus dem Kanon Verlag Berlin
ISBN:9783985681068

Lebewohl, Martha

Lebewohl, Martha. Ein Buch, dass ich gerne zu den Büchern gegen das Vergessen zählen möchte. Die Autorin Ingke Brodersen zog Anfang der 1990 Jahre in eine große Altbauwohnung im Bayerischen Viertel in Berlin Schöneberg. Als sie so in ihrer Wohnung saß und den Blick zur Decke schweifen ließ, sah sie ein fehlendes Stück im Deckenstuck. Wie ist dieses Loch wohl in die Decke gekommen? Und was würden diese Wände erzählen, wenn sie es könnten …

Lebewohl, Martha

Martha Cohen, die Pianistin, ist eine der 24 verschwundenen Menschen, die einst in dem Haus im Bayerischen Viertel gelebt haben. Sie wurde am 1. September 1942 abgeholt. Die 82-Jährige musste alles in den Räumen der herrschaftlichen Wohnung zurück lassen und durfte nur einen kleinen Koffer mitnehmen. Sie wurde mit einem „Alterstransport“ nach Theresienstadt geschickt. Martha war wohl kaum in der Lage, den Transport zu überstehen. Körperlich und seelisch war sie auf jeden Fall schon ziemlich hinfällig. Depressionen nach dem Tod ihres Mannes, führten dazu, dass Martha immer wieder in einem Sanatorium Erholung und Genesung suchen musste.

Und Martha Cohen ist nur eine Person, von vielen, die in dem Haus in Berlin Schöneberg gewohnt hat. Die Nazis sorgten dafür, dass die jüdische Bevölkerung am besten unter einem Dach wohnte. Die Nazis veranlassten, dass die Menschen näher zusammenzurücken haben. Und so zogen sehr viele, sich fremde Menschen, in die Wohnungen in der Berchtesgadener Straße ein. Man musste sich arrangieren, die großen Zimmer miteinander teilen.

Ingke Brodersen wollte mehr über ihr neues Zuhause erfahren und fing an, in den Archiven der Stadt zu suchen. Sie fragte überall an, um mehr über die ehemaligen Bewohner des Hauses in der Berchtesgadener Straße 37 herauszufinden. Ein nicht einfaches Unterfangen, wie sie schnell bemerkte. Die Lücke im Stuck ließ sie aber nicht aufgeben. Sie wühlte sich durch Listen und fand so nach und nach Unglaubliches heraus und gab den Menschen, die damals in diesem Haus gelebt hatten, ein Gesicht und ihre Geschichten zurück.

Recherchen und ein Buch

Ich konnte das Buch nur in kurzen Abschnitten lesen. Mich erschüttert es immer wieder, mit welcher Genauigkeit und perfiden Gedanken, die Nazis damals Menschen entsorgt haben. Sie nahmen den Menschen ihre Würde, ihr komplettes Leben. Solche Bücher lassen mich immer wieder gruseln. Wie neidisch und grausam Menschen sein können und ihren Nachbarn dem Tode preisgeben. Wie kaltblütig sie die Menschen, in furchtbare Abgründe geschickt haben.
Ingke Brodersens hat hier ein Buch geschrieben, das erinnert. Sie hat die Spur aufgenommen und versucht so viel wie möglich über die ehemaligen Bewohner des Hauses in der Berchtesgadener Straße zu erfahren. Sie waren ganz normale Menschen. Die Autorin ist Historikerin und Herausgeberin einer politischen Buchreihe beim Rowohlt Verlag, da ist es irgendwie nicht verwunderlich, dass sie sich in die Geschichten der 24 Menschen aus ihrem Haus verbissen hat. Ich denke, sie hatte damit auch einen besonderen Zugang zu den Daten und Fakten, wusste, wo sie mit ihrer Suche beginnen konnte. Das Buch selber liest sich etwas abgehackt und doch findet man immer wieder den Anschluss. Das ganze könnte man auch zu einem perfekten Roman verbauen und vielleicht sogar zu einer Serie für das Fernsehen.

Eigentum und Wiedergutmachung

Wenn man Rund um den Bayerischen Platz in Schöneberg unterwegs ist, dann kann man an verschiedenen Laternen, Schilder entdecken. Auf diesen Schildern wird deutlich gemacht, welche Verordnungen die. Nationalsozialisten damals gegen das Eigentum, die Würde und Bildung der jüdischen Bevölkerung erlassen haben. Stück für Stück wurde ihnen alles genommen. Noch heute kämpfen Angehörige darum, ihr Eigentum zurückzubekommen oder wenigstens entschädigt zu werden.

Das Buch Lebewohl, Martha, hat mich emotional mitgenommen. Es ist nicht das erste Buch, welches ich zu diesem Thema gelesen habe. Rückkehr nach Birkenau hat mich, als ich es las, genauso getroffen. Auch wie es den Menschen damals auf der Flucht erging, dass sie keiner haben wollte, ihnen die Einreise in ihr Land verweigerten, das kann man in dem Roman Das Mädchen im Strom lesen. Ich hoffe sehr, dass wir nie wieder Menschen dermaßen verfolgen, misshandeln oder töten.
Der Lesefluss wird in dem Buch Lebewohl, Martha oft unterbrochen durch eigene Erfahrungen der Autorin. Und trotzdem geben wir diesem Buch gerne 🐭🐭🐭🐭

 

Lebewohl, Martha

Die Geschichten der jüdischen Bewohner meines Hauses
geschrieben von Ingke Brodersen
aus dem Kanon Verlag
288 Seiten
ISBN 978-3-98568-074-0