von Andrea Karminrot | Jun 29, 2018 | Komödie, Roman |
Miss Gladys und ihr Astronaut
ein Roman von
David M. Barnett
Gladys ist eine Siebzigjährige Dame in England, die die Aufgabe hat, für ihre Enkel Ellie und James die Erziehungsberechtigte zu spielen. Nur, dass Gladys ein kleines Problem hat, sie ist schon etwas dement. Sie verheddert sich in ihren Alltagshandlungen, so dass es schon mal vorkommt, dass das Schulhemd von James einen Brandfleck hat, das Handy im Kühlschrank und die Butter am Ladekabel hängt. Als Gladys dann auch noch erklärt, dass sie mit einem Mann gesprochen habe, der zum Mars unterwegs sei, befindet sie ihre Fünfzehnjährige Enkelin Ellie für absolut irre. Ellie hat so schon genug Probleme, weil sie neben der Schule auch noch für den Lebensunterhalt sorgen muss. Da ist die verrückte Oma, noch das Tüpfelchen auf dem I.
Gladys hat aber tatsächlich mit dem Astronaut Thomas Major gesprochen. Eigentlich wollte Thomas seine Exfrau aus dem All anrufen, doch die Telefonnummer seiner Ex ließ das Telefon von Gladys klingeln. Thomas ein schwieriger Geselle, der einen recht trockenen Humor hat und fast schon gemein scheint. Das stört aber Gladys in ihrer kindlichen Art kein Stück und so entwickelt sich eine interessante Freundschaft.
Gespickt mit wunderbaren Songs von David Bowie aus den Achtzigern, schwebt der Astronaut Major Tom in Richtung Mars. Warum er unbedingt eine Reise ohne Wiederkehr machen wollte, lag wohl an all den Enttäuschungen, die er erlebt hat. Thomas (Major Tom) hat einen so herrlichen, schwarzen und sarkastischen Humor, der allerdings nicht jedem gefällt.
Ich habe dieses Buch genossen wie eine Schachtel Pralinen. Langsam, Stück für Stück, sämtliche Pointen genießend. Teilweise trieb es mir die Tränen in die Augen, die dann aber wieder schnell von Gladys, der dementen alten Dame vertrieben wurden, wenn sie, in ihrem schlichten Dasein, wieder Einiges durcheinander brachte.
Ullstein Verlag
416 Seiten
Calling Major Tom
Aus dem Englischen übersetzt von Wibke Kuhn.
ISBN-13 9783548289540
Verlinkt bei Niwibos Buch und mehr
von Andrea Karminrot | Feb 8, 2018 | Rezension, Roman |
ein Roman von
Kent Haruf
In einer Kleinstadt wird die 17 jährige Victoria von ihrer Mutter vor die Tür gesetzt, weil sie schwanger ist. Damit das Mädchen nicht auf der Straße leben muss, überredet die Lehrerin des Mädchens zwei alte Viehzüchter, Victoria bei sich aufzunehmen. Die McPherons sind freundlich, aber wortkarg und leben schon sehr lange alleine. Sie machen ihre Arbeit immer gemeinsam und verstehen sich ohne Worte hervorragend. Sie gehen darauf ein, das Mädchen bei sich aufzunehmen. Damit verändert sich Einiges auf der Farm der Alten.
Kent Haruf beschreibt das Leben in einer fiktiven Kleinstadt in Colorado, in der Nähe von Denver. Die Einwohner sind teilweise verschroben und haben noch nie viele Worte verloren. Er beschreibt seine Romanhelden mit knappen Worten und so Manches bleibt dem Leser verborgen. Alleine durch die Handlungen seiner Figuren, versteht man diese am Ende, oder kann seine Gedanken hinein interpretieren. Als Leser schwebt man förmlich über den Protagonisten.
Haruf schreibt, zart, humorvoll und unaufdringlich. Ich hatte ständig das Gefühl, über der Geschichte zu schweben. Immer wieder musste ich schmunzeln, vor allem über die McPherons-Brüder. Nie hatte ich das Gefühl, dieses Buch aus den Händen legen zu wollen. Die unaufgeregte Schreibweise, deutet auf einen Sturm hin, der aber niemals auftaucht. Trotzdem ist es auf keinen Fall langweilig und zieht einen magisch in diese Kleinstadt, mit dem Verlangen, mehr über seine Bewohner zu erfahren. Die Wortlosigkeit, die Stille und Weite spricht aus den Seiten.
Ein wunderbares Buch, mit der Erkenntnis, dass mit Worten und Taten Vieles geschaffen und verändert werden kann.
Roman aus dem Diogenesverlag
übersetzt von Rudolf Hermstein
384 Seiten
ISBN 978-3-257-07017-0
von Andrea Karminrot | Sep 20, 2017 | Rezension, Roman |
ein Roman von
Miika Nousiainen
Auf der Suche nach dem verschwunden Vater,
oder an der Wurzel gepackt
Der Finne Pekka Kirnuvaara, getrennt lebender Familienvater, steht vor dem Problem, einen Zahnarzt zu brauchen. Er sitzt auf den Behandlungsstuhl und stellt fest, dass der Doktor glatt sein Bruder sein könnte. Und tatsächlich, sie haben den gleichen Vater. Die Brüder sind sehr unterschiedlich. Pekka ist sehr redefreudig und pflegt seine Zähne nicht. Esko Kirnuvaara, der Ältere, hält dagegen viel von der Pflege der Zähne. Klar, er ist ja auch Zahnarzt. Dafür ist er der Ruhige und redet nicht gerne. Die beiden Männer sind als Kleinkinder von ihrem Vater verlassen worden. Ihre Mütter waren nicht gut auf den Vater zu sprechen. Und doch wollen die Söhne herausfinden, wo der Vater abgeblieben ist und warum er sie allein gelassen hat. Sie machen sich auf die Suche nach ihrer Wurzel.
Seine Familiengeschichte mit einer Wurzelbehandlung zu vergleichen, das ist schon mal ein besonderes Erlebnis. Der Autor hat die Kapitel mit den einzelnen Stationen der Behandlung überschrieben. Und witziger Weise, passt es tatsächlich. Am Anfang muss man eben erst einmal den Zahn aufmachen, um an das Übel heran zu kommen. In der zweiten Station wird gesäubert und provisorisch verschlossen… So kann man eben auch den Vorgang erklären, wenn es um die Aufarbeitung der Beziehung zum verschwundenen Vater geht. Auf ihrer Suche nach dem Vater treffen die alten Männer auf immer mehr Geschwister. Einer Spur, die ihr Erzeuger hinter sich her zog. Und alle Kinder haben eine Gemeinsamkeit, sie wurden als Kleinkinder mit ihren Müttern allein gelassen.
Miika Nousiainen hat eine witzige Art zu schreiben. Spitzer und feiner Humor bringt immer wieder Lacher hervor. Seine beiden Hauptfiguren sind so unterschiedlich und so herrlich beschrieben, dass es Spaß macht sich auf die Beiden einzulassen. Pekka und Esko erzählen abwechselnd aus ihrer Sicht. Jeder in seiner Art, was die Geschichte sehr unterhaltsam und sehr lebendig macht. Zum Ende hin, kam mir dann doch alles etwas zu sehr herangezogen vor. Als wollte der Autor möglichst viel und schnell noch abhandeln. Dabei erfährt man doch einiges über das Gesundheitssystem in Finnland und andern Orts. Über die Finnen an sich, und die Behandlung und Verwahrung von Kindern in anderen Ländern. Miika Nousiainen wickelt einen mit seiner leichten Schreibweise ein und vermittelt nebenbei noch Politisches und Soziales, ohne mit dem Zeigefinger zu wackeln.
Ich fand es ein erfrischendes Buch, das man gut lesen kann.
Von Miika Nousiainen,
(Schriftsteller, TV-Journalist und Drehbuchautor)
Übersetzt von Elina Kritzokat
Verlag: Nagel + Kimche
Seiten: 256
ISBN 978-3-312-01038-7
von Andrea Karminrot | Aug 15, 2017 | Nachdenklich, Rezension, Roman |
Wie weit kann man sich ignorieren?
Das wollen die doch gar nicht hören! Wem sollte ich es überhaupt erzählen? Wie soll ich es sagen? Das will doch keiner wissen! Ich werde das schon alleine auf die Reihe bekommen, so wie es in allem ist… So denkt Katharina, die Hauptdarstellerin in dem Buch:
ein Roman von
Mareike Krügel
Einfach eine Liste schreiben, was ich noch zu erledigen habe und dann den normalen Wahnsinn weiter spielen. Nicht darüber nachdenken, dass dort in meiner Brust ein “Etwas” ist.
Wie würde ich wohl reagieren, wenn ich einen Knoten in der Brust entdecken würde, mit dem Wissen, dass meine Mutter, als ich 17 war, elendig an solch einem Gewächs gestorben ist? Wäre ich wie Katharina in dem Buch von Mareike Krügel? Würde ich es für mich behalten wollen und es “schon alleine schaffen“. Vielleicht auch selber nachhelfen, bevor der Krebs mich auffrisst? Ich finde, es ein schwieriges Thema, vor allem, wenn man mit 40 noch zu jung zum sterben ist.
Katharina steckt in dem “normalen“ Wahnsinn einer Mutter. Als sie einen Knoten in ihrer Brust entdeckt. Ihr Vertrauen zu den Ärzten, ist nicht besonders groß, nachdem ihre Mutter schon an einem solchen Gewächs gestorben ist, als Katharina gerade in der Pubertät war. Katharinas Leben steht auf dem Kopf. Ihre Familie und ihr Umfeld machen es ihr auch nicht besonders leicht, über dieses Etwas zu reden. Immer wieder treten Situationen auf, die ihre Misere in den Hintergrund rücken. Katharina hat ein kleines Buch. Dort schreibt sie Listen über Dinge, die ihr wichtig sind, die sie noch erledigen möchte. Oder was sie liebt und was sie erfreut, alles was sie nicht vergessen möchte. Unter anderem, hat sie dort eine Liste angelegt, wie man sich am Besten aus dem Leben stiehlt…
Katharina ist die Erzählerin. Sie ist Musiklehrerin in einem Kindergarten aber eigentlich ist sie studierte Musikwissenschaftlerin und liebt klassische Musik. Sie hat eine 11 jährige Tochter mit ADHS und einen 17 jährigen Sohn, der Musicalsänger werden möchte. Ihr Mann kommt nur an den Wochenenden aus Berlin an die Küste. Er arbeitet dort in einem Architekturbüro. Aber damit nicht genug, kümmert Katharina sich auch noch um die seltsamen und einnehmenden Nachbarn. Somit steht sie mit ihrem Problem komplett alleine da. Wem sollte sie also von ihrer Entdeckung erzählen?
Mareike Krügel hat einen Roman geschrieben, der so voller schöner, lustiger und nachdenklicher Momente ist. Sie hat eine Art zu schreiben, die einem die Luft nimmt. So mitreißend und klar. Mit sehr viel Humor, einiger Bestürzung und Angst vor dem “Etwas”. Die Autorin verzaubert durch Sätze, die man am liebsten ständig unterstreichen möchte.
Ich kann nur empfehlen, dieses Buch zu lesen, ein wirklich geniales Buch.
Verlag Piper
256 Seiten,
Hardcover mit Schutzumschlag
ISBN 978-3-492-05855-1
von Andrea Karminrot | Mrz 10, 2017 | Jugendbuch, Rezension |
»Mein Name ist Zucchini«, so stellt sich der kleine Ikare aus Frankreich vor. Seine Mutter arbeitslos, Alkoholikerin und fernsehsüchtig, kümmert sich seit ihrem Unfall kaum noch um den Jungen. Aufmerksamkeit bekommt der Kleine nur, wenn er etwas Dummes angestellt hat. Und das eigentlich täglich. Zucchini versteckt sich dann am liebsten auf dem Dachboden, da kommt die Mutter, mit ihrem kaputten Bein nicht hin. Eines Tages findet er in einer Kommode einen Revolver und will damit den Himmel erschießen, weil der, wie die Mutter immer sagt,
»Der Himmel, mein Kleiner, der ist so groß, damit wir nie vergessen, wie klein unsereins daneben ist.« (Seite 7)
Das Kinderbuch wird aus der Sicht des kleinen Zucchini erzählt. (Warum eigentlich Zucchini. Der Originaltitel heißt :Autobiographie einer Pflaume. Das idiomatische Pendant zur französischen courgette ist im deutschen die Pflaume oder Gurke. Da der gleichnamige Film sich für Zucchini entschieden hat, wurde die Neuauflage des Romans, dem Film angeglichen.) Der Roman liest sich, wie ein Neunjähriger sprechen würde, der nicht der intelligenteste ist. Zucchini hinterfragt viel und geht damit seiner Umwelt manchmal gehörig auf die Nerven. Es gibt so manchen Erwachsenen in der Geschichte, der auch ein gutes Bild macht. Die Erzieher in dem Heim sind oftmals wie eine Insel der Geborgenheit. Die Geschichten der Kinder werden, wie es Kinder sehen erzählt. Ohne große Details und so einfach wie möglich.
Mich hat das Buch sehr berührt. Nicht das ich Tränen in den Augen gehabt hätte. Durch die Erzählweise, sieht man die Grausamkeiten mit dem Kinderblick und kommt einfach damit klar.
Erst vor kurzem ist der Film zum Buch in den Kinos angelaufen. Die Verfilmung wird sehr gelobt, es wäre tragisch, traumatisch und berührend. Als Puppenfilm, sind die Figuren neutraler, was es für kleine Kinder zu einem einfachen Puppentrickfilm macht. Das Buch würde ich etwas älteren Kindern empfehlen. Es ist aber genauso gut für Erwachsene zu lesen.
Knaus Verlag
Gebundenes Buch mit Schutzumschlag