Solange sie tanzen, von Barbara Leciejewski

Solange sie tanzen

ein Roman von Barbara Leciejewski

Barbara Leciejewski behauptet von sich selber, noch keine Schriftstellerin zu sein. Ich denke aber, sie kann sich mit dem Buch, Solange sie tanzen, das ich heute vorstellen möchte, sehr wohl diesen Titel anheften. Ihr Roman dreht sich um eine Frau, die gerade erst ihren Mann verloren hat. Einsam ist Ada, die Hauptfigur in dem Roman, nicht. Sie hat ja noch ihren Hund Hemingway. Sie muss sich um den Boxer kümmern, muss mit dem Hund ihre Runden in der nahen Grünanlage drehen. Dabei kommt sie immer wieder an einem alten Haus vorbei, das Ada und ihr Mann Hans gerne besessen hätten. Sie sitzt oft auf einer Bank vor dem Haus und träumt davon, wie es gewesen wäre, dort zu leben.

Ada ist noch recht lebenslustig und schließt schnell Bekanntschaften. Darunter auch der nette ältere Herr Lenz, der erst seit kurzem Ada‘s Nachbar ist. Sie treffen sich zu Kaffee und Kuchen. Während ihrer Gespräche hat Ada immer wieder kurze Aussetzer und vergisst, was der nette Herr ihr erzählt hat. Aber damit nicht genug, stolpert Ada immer öfter darüber, dass sie sich nicht an den vergangenen Tag erinnern kann. Geschickt vertuscht sie die fehlenden Momente vor ihrer Umwelt und vor sich selber.

Dafür erinnert sie sich sehr gut an die Vergangenheit und lässt uns Leser an ihrer Liebes-/Lebensgeschichte teilhaben. Wie es kam, dass Hans und Ada ein Paar wurden und wie schwierig ihre Zeit war, bevor sie heiraten konnten. Ihre komplette Lebensgeschichte mit all ihren Höhen und Tiefen, lässt den Leser nicht mehr los.

Immer öfter hat Ada Schwierigkeiten sich zu erinnern. Die Autorin führt den Leser leichtfüßig durch die Situationen, so wie sich Ada mit ihren Gedächtnislücken fühlen muss. Manchmal ergeben, manchmal wütend. Barbara Leciejewski hat eine sanfte Art dem Leser die Demenz der alten Dame beizubringen. Anfangs ist es einem gar nicht bewusst, wohin das führen wird. Aber immer mehr wird klar, dass Ada irgendwann ihre Gedanken nicht mehr sortieren kann.

Ich finde, die Autorin schreibt sehr gut und geht mit dem Thema der Demenz sehr angenehm um. Leciejewski zeigt, wie sich der Mensch fühlen muss, der sein Gedächtnis Stück für Stück verliert. Sie ist nicht ganz unbelastet, was das Thema Demenz angeht, denn ihre Mutter ist daran erkrankt.

368 Seiten
Verlag:Tinte & Feder
Ein anderes Buch über Demenz habe ich schon einmal hier rezensiert. Das Buch Hier können sie im Kreis gehen, fand ich auch ein gelungenes Buch über die Demenz.
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Dieses Buch verlinke ich mit den Juli-Buch-Empfehlungen

Hier können sie im Kreis gehen

Demenz, ist ein schwieriges Thema. Keiner will sie haben, hat einigermaßen Respekt vor dem Vergessen und sie wird oft totgeschwiegen. Dabei ist es für den alten Menschen fast eine Erlösung, sich in den “Unverstand” zurückziehen zu können. Zumindest für den Schweizer Herr Kehr, der sich vor seiner Familie in ein Pflegeheim für Demenzkranke flüchtet. Er will sich nicht von seiner Familie pflegen lassen,  so baut er vor und täuscht eine Demenz vor. Seine 91 Lebensjahre waren so spannend genug, dass er eine Menge zu erzählen hat. Aber er redet nicht mehr, das gehört zu seinem Theater, das er allen vorspielt. Herr Kehr beobachtet verständnisvoll seine Mitinsassen, genießt sogar die “Verrücktheiten” der Mitbewohner und lernt noch von ihnen. Den einzigen Ohren, denen Herr Kehr noch etwas mitzuteilen hat, sind die der Katze, die sich ab und zu, zu dem alten Herren in das Einzelzimmer verläuft. Und dann ist da noch die Enkelin Sophie, die der alte Mann zwar sehr liebt, die ihn auch oft besucht, aber auch darunter leidet, dass der Großvater so anders ist. Dann muss sich der Schweizer Herr Kehr sehr zusammen nehmen, damit seine Tarnung nicht auffliegt. 

“Das Frühstück ist die Zeit zwischen dem Nichts und dem Nichts. Auf dieses Zweite Nichts folgt das Mittagessen, gefolgt von dem nichts bis zum Abendessen. Und danach das mächtigste Nichts, das bis zum Frühstück dauert” Seite 19

Frédéric Zwicker hat als Zivi in einem Altenheim in der Schweiz gearbeitet. Eine Nebenfigur, die in dem Buch vorkommt, könnte seine Rolle sein. Er hatte Einblicke in das verwirrende Leben der “Übriggeliebenen”. Ohne Schnörkel beschreibt er das Leben zwischen den Bewohnern, Angehörigen und dem Pflegepersonal. Gemein sind sie untereinander, die Alten und verständnislos, nehmen sich gegenseitig das Beste weg und beschimpfen sich. Die Angehörigen sind hilflos und überfordert. Das Personal gelassen und ausgleichend, bzw.manchmal auch ignorierend.

“Verschlissenes Menschenmaterial, das seiner Entsorgung harrt. Und dann sind da noch die Pflegerinnen auf Nachtschicht, die mit müden Blicken über die Müllhalde wachen.” Seite 55

Ich fand, dieses Buch bietet einen tollen Einblick in das Pflegeheim und in das Leben des Herrn Kehr. Die Mitspieler waren gut gezeichnet. Der Text knapp gehalten und die Kapitel so kurz, wie die Episoden aus dem Leben der Alten. Ständig wechselt die Erzählperspektive, was anfangs schon etwas verwirrend sein kann. Manch einem könnten auch die Beschreibungen des Herrn Kehr auf den Magen schlagen. Aber so und nicht anders, sieht es in solchen Heimen aus, verhalten sich die Bewohner und spielt das Leben. Ich musste oftmals schmunzeln und manchmal haben mich die Gedanken des alten Herren traurig und nachdenklich gemacht. Zum Verständnis für die Dementen mag dieses Buch bestimmt einen Teil beitragen. Mir hat der Schreibstil des Autors sehr gefallen und ich kann dieses Buch nur empfehlen.

“Früher konnte man noch rechtzeitig sterben. Irgendwann hat man das verlernt. Man hatte keine Zeit mehr für den Tod, weil man noch Direktor, Millionärin oder vierfacher Ehemann werden wollte. Man hat angefangen, sich selbst so wichtig zu nehmen, das man vergessen hat, nur das zu bedeuten, was man jenen bedeutet, die einem was bedeuten…” Seite 90


Roman von Frédéric Zwicker
160 Seiten
Nagel & Kimche
ISBN 978-3-312-00999-2
ePUB-Format
ISBN 978-3-312-01010-3
Frédéric Zwicker im Video

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Wer ist Mr Satoshi

Jonathan Lee, ist ein Schriftsteller der mit Worten jongliert. Mit Worten seine Bilder so nahe bringt,

umschreibt, umschmeichelt. Wortkombinationen gebraucht, die ich so noch nie gelesen habe. Er ist 1981 in Surrey geboren, studierte englische Literatur, lebte in Südamerika und arbeitete in in einer Anwaltskanzlei in London. “Wer ist Mr. Satoshi” schrieb er, nachdem er aus Tokio, wohin er versetzt wurde, wieder in England war. In New York ist sein neues zu Hause…

Seine Texte werden in namhaften Zeitschriften abgedruckt und sein neuster Roman wird inzwischen schon verfilmt. Ich kann mir allerdings nicht vorstellen, wie man die Sätze, die dieser Autor zu Papier bringt, passend verfilmen kann. 
In „Wer ist Mr Satoshi“, erlebt Jonathan Lees Hauptdarsteller, Robert Fossick, wie seine Mutter auf der Terrasse des Altenheim, wo sie wegen ihrer Demenz von Robert untergebracht wurde, verstirbt. Unfähig sich zu rühren, beobachtet er den Sturz und später die Aktionen der Sanitäter. Kurz bevor die Mutter die Terrasse betreten hatte, hielt sie ihrem Sohn ein Paket entgegen und erklärte Robert, dass dieses für einen gewissen Mr Satoshi sei. Robert hat seit einem tragischen Unfall seiner Frau ausgeprägte Panikattacken und kann seinem Beruf als Fotograf nicht mehr nachgehen. Er verbringt die meiste Zeit in seiner Wohnung, lebt beziehungsweise überlebt nur mit Hilfe von Tabletten. Nun ist er gezwungen sich mit dem Paket auf die Suche nach Mr Satoshi zu machen, da auch noch sein Agent darauf drängt, mal wieder Bilder seines Schützling zu veröffentlichen. Ausgerechnet nach Tokio, in eine der quirligsten Städte, wird er reisen und durch eine junge Japanerin die Welt neu entdecken. 
Wie gesagt, Lee schreibt in einem unglaublichen Stil. Die Umschreibungen, die er benutzt, sind so bildhaft, so wunderbar. Die Sätze faszinieren und machen unglaublichen Spaß zu lesen. Jung, frech, überdeutlich, lesen wir die Gedanken des Hauptdarstellers und sind mit ihm in seinen Drogenträumen und in seinen Panikattacken unterwegs. Lee sieht die Welt mit einem besonderen Blick, lässt uns mit seiner bildhaften Sprache teilhaben. Die Beobachtungen des Protagonisten bringen uns die Demenz der Mutter näher. Woher die Ängste, die Robert hat stammen, wird auch im Laufe der Geschichte erklärt. Auf eine Art, die Lee in meinen Augen, als besonderen Schriftsteller auszeichnet.

Ein Absatz von Seite 104:

“Kein Buch oder Film hatte mich auf das millionenfarbige Adernetz der Stadt vorbereitet. Seine Lichter gleißten unglaublich hell, dimmten sich nur herunter, wenn das Taxi in einen Tunnel gesaugt wurde. Wenn wir dann Sekunden später wieder auftauchten, fühlte ich mich wie ein soeben ausgetriebenes Neugeborenes, unfähig, die Welt außerhalb des Mutterleibs aufzunehmen. Fluoreszenz ergoss sich von Straßenschildern mit fremdartigen Aufschriften, füllte Ladeneingänge und sickerte in enge Seitengassen.”

Das wird bestimmt nicht das letzte Buch sein, das ich von Jonathan Lee lesen werde. Einige haben ihn auch mit Haruki Murakami gleichgestellt. Seine Bücher hochgelobt.

Paperback, Klappenbroschur,
320 Seiten
ISBN: 978-3-442-75386-4
Verlag: btb

Nachts, wenn der Tiger kommt

ein Roman von

Fiona McFarlane

Stell dir vor, du denkst, dass du alleine gut zurecht kommst und plötzlich steht eine Pflegerin vor dir und übernimmt das Kommando. So geht es Ruth in Australien, 75 Jahre und Großmutter. Frieda kommt vom Staat und soll der alten Dame im Haushalt helfen. Innerhalb kurzer Zeit, hat Frida alles im Griff, bestimmt dass das Auto verkauft wird, bekocht die alte Dame und wischt die Böden mit ätherischen Ölen blitzblank, das die Katzen die Flucht ergreifen.

Nur Nachts, wenn Ruth alleine ist und ihre Gedanken kreisen, dann hört sie den Tiger im Wohnzimmer. Hoffentlich, hat Sie die Tür geschlossen! Sie weiß, es gibt ihn nicht, aber sie kann ihn riechen und hören. Sie weiß, das sie nicht mehr alles weiß.

Das Buch ist aus der Sicht der alten Dame geschrieben, mit all den Kanten die so im Alter anstoßen. So vergisst sie viel und schwelgt in Erinnerungen. Sie hat ihren Alltag mit Ritualen geplant. Aber immer wieder stolpert sie über die „Wirklichkeit“. Sie sieht nur noch, was ihr wichtig ist. Man kommt ins grübeln, ob demenzkranke Menschen tatsächlich in dieser kleinen Welt leben. Die Geschichte scheint oft verwirrend, den Gedanken der alten Dame angepasst. Zum Ende hin wird das Buch förmlich zum Krimi, die letzten Kapitel habe ich fast verschlungen. Ein tolles Buch!

Schöne Sätze:

Seite 135 : „Er war müde geworden, dachte sie, und das hat ihn locker gemacht. Die Tatsache, etwas sein zu müssen, hatte ihn müde gemacht.“

Seite 254: “ Sie hatte das Gefühl, in einer Folge von Ereignissen, über die sie keine Kontrolle hatte, gefangen zu sein.“

*Fiona McFarlane wurde in Sydney geboren, studierte an der dortigen Universität und promovierte an der University of Cambridge. Sie hat bisher Kurzgeschichten in namhaften Zeitschriften veröffentlicht, war Stipendiatin im Fine Arts Work Center in Provincetown, Massachusetts, im St. John’s College in Cambridge, England, und ist gegenwärtig am Michener Center for Writers der University of Texas in Austin. „Nachts, wenn der Tiger kommt“ ist ihr erster Roman; er erscheint in mehr als einem Dutzend Sprachen. (*Dieser Text stammt von der AutorenSeite des Verlags)

Nachts, wenn der Tiger kommt

Deutsche Verlagsanstalt

ISBN: 978-3-421-04607

336 Seiten, Originaltitel: The Night Guest

Gebundenes Buch mit Schutzumschlag