Der Klang der Zeit

21.04.2016 | Rezension, Roman | 12 Kommentare

Das ist nun mein Beitrag zu der Blogparade, die Astrid und Silvia von dem Blog Leckere Kekse ins Leben gerufen haben. Ich wollte dich nach New York entführen und dir ein Stück schöne Literatur vorstellen. Mein Buchdealer hat mir “Der Klang der Zeit” empfohlen und so habe ich mich an die 768 Seiten gewagt.
Ich wollte dich nach New York entführen und dir ein Stück schöne Literatur vorstellen.
Mein Buchdealer hat mir “Der Klang der Zeit” empfohlen und so habe ich mich an die 768 Seiten gewagt.

Ich habe ein klangvolles Buch voller Musik gefunden. Einem Buch, randvoll mit bezaubernden Worten, melodiösen Sätzen. Ich habe Abhandlungen über die Zeit gelesen, die mich mehr verwirrt haben, als mir die Zeit zu erklären. Physikalische Belehrungen, die mich ermüdeten. Ich habe von New York gelesen. Von den Kämpfen zwischen Schwarz und Weiß, den Rassenunruhen in den Sechziger Jahren. Habe über die Geschichte zweier Jungen gelesen, deren Eltern nicht unterschiedlicher sein konnten. Die Mutter aus einer gebildeten schwarzen Familie und der Vater ein jüdischer Physiker, der aus dem Nazideutschland geflohen ist. Gegen allen Verstand heiraten die Beiden und bekommen drei sehr musikalische Kinder. Die Kinder Milchkaffeebraun / -weiß, mit so viel Musik in den Adern, dass der Ältere ein Stipendium an einer Musikschule bekam, wo seine Stimme Engelsgleich ausgebildet wurde. Obwohl es für schwarze Kinder ganz und gar nicht üblich war, eine solche Ausbildung zu bekommen. Geschweige denn, auf eine solche Schule zu gehen. Auch der Mittlere wurde auf diese Schule geschickt und erhielt eine Klavierausbildung. Stets im Schatten des Älteren, dazu verdammt immer nur der Diener, Schlichter und Kindermädchen für die Familie zu sein. Die viel jüngere Schwester, noch musikalischer als die Brüder, entschied sich, nach dem gewaltsamen Tod ihrer Mutter, für einen ganz anderen Weg. Einen Weg, der mit Musik nichts zu tun hatte, aber auch den Klang der Zeit verdeutlichte. Einen Weg durch die Unruhen …
Die Kinder wachsen in einer Scheinwelt der so verschiedenen Eltern auf. Sie bekommen den Krieg zwischen den Hautfarben, der überall in Amerika brodelt, nur am Rande mit. Die Eltern unterrichten die Jungen zu Hause in New York, am Rande von Harlem, wo sich Schwarz und Weiß vorsichtig vermischen. Die Tochter wird später auf eine “normale” Schule gehen, nicht so weltfremd wie die Brüder. Die Kinder spielen lieber im Haus, als auf der Straße, wo die anderen Kinder schon darauf warten, die Mischlinge zu quälen. Als die Jungen in ein Internat umziehen, werden sie von fast allen Kindern akzeptiert, es sind wieder die weißen Eltern, die es zu verhindern wissen, dass engere Kontakte entstehen.
Die Story wird größtenteils von Joseph, dem mittleren der Kinder erzählt. Nur wenn es in die Vergangenheit geht, als der Junge noch nicht geboren war, übernimmt ein Erzähler das Wort.

“Wir sollten die Zukunft sein. Wir sollten die Gegenwart überwinden. Wir sollten die Rassenunterschiede überhaupt nicht sehen. Nicht einmal das Wort Rasse sollte fallen.” Seite 358
Wo kommt bloß dieser Titel her? Ja, es handelt von Musik. Von den Schwierigkeiten der Schwarzen in einem Land, in das sie nicht freiwillig eingewandert sind. Es handelt von dem Niemandsland der Kinder von gemischten Partnerschaften. Aber der eigentliche Titel entstammt einem Abschnitt von Seite 191, wo der Vater seinen Jungen Noten aus einer Zeit zeigt, als es noch keine Notenschlüssel und Tonarten gab. Er erklärt ihnen das Geheimnis der Töne in der Zeit, als die Welt noch in einem anderen Rhythmus schlug. In einem Kloster an der Nordspitze von Manhatten, auf einem Hügel oberhalb des Hudson River. “The Cloisters” einer Zweigstelle des Metropolitan Museum of Art. (Einem Kloster, das aus verschiedenen Klöstern zusammengetragen wurde. Niemals in der Vergangenheit einen echten Sinn gehabt hatte.)

“Zeit ist das Mittel, mit dem wir verhindern, dass alles zugleich passiert” Seite 116
Ich habe dieses Buch wirklich gerne gelesen, nur manchmal war ich von den vielen Eindrücken, physikalischen und zeitlichen Ergüssen, den vielen Musikstücken und Komponisten und Sängern erschlagen. Ich war froh, auf den letzten Seiten des Buches eine Zeittafel der Geschichte und  die für dieses Buch relevanten Momente zu finden. Einige Sänger und Komponisten habe ich mir im Internet zusammengesucht und auch da wieder einiges dazugelernt. Ich habe mir die Musik angehört, die auf den Seiten erwähnt wurde.

Die Grundgeschichte hat mich gefesselt, hat mir ein Lesevergnügen bereitet, das mich die trägen Momente in dem Buch meist vergessen ließ.

“Wer die Vergangenheit zum Ursprung erklärt, lässt der Zukunft keinen Spielraum…Wir alle bewegen uns auf einer gekrümmten Kurve, die zusammenbrechen wird und uns alle neu erschaffen wird” Seite 114

Um auf das New York Thema zurückzukommen: Die Straßen von New York, die Bezirke und die Musikschulen und Konzerthäuser, spielen in diesem Buch eine große Rolle. New York ist der Knotenpunkt in diesem Buch. Und ich wünsche mir eine Reise in diese Stadt. Ich fürchte nur 2 oder 3 Tage würden nicht reichen, all die Plätze zu besuchen, die ich mir ansehen möchte. Diese Blogparade #nycblogparade macht unheimliche Lust dorthin zu fahren.

Schau bitte auch auf den anderen Blogs vorbei, damit du mit dem zwölften Wort “in”, das ich dir jetzt gebe, den Satz vervollständigen kannst, mit dem du bei Leckere Kekse gewinnen kannst.

Roman von Richard Powers
768 Seiten,
FISCHER Taschenbuch

ISBN 978-3-596-15971-0

12 Kommentare

  1. kaffeekraenzchen_ mit _grinsekatze

    Liebe Andrea,
    Deine Ehrlichkeit bei den Rezensionen schätze ich immer sehr! Mir scheint der Autor hat sich bemüht seine Begeisterung für Musik und deren Geschichte zu vermitteln. Das ist natürlich eine schwierige Aufgabe. Ich denke nicht dass ich das Buch lesen werde aber mit deiner Hilfe aber ich einen guten Überblick über das Buch bekommen! Deswegen Danke fürs lesen und berichten!:-)
    Liebe Grüße,
    Alice

    Antworten
  2. Andrea

    Liebe Andrea,

    wow, du hast das Buch unglaublich gut geschrieben. Durch deine Worte fühlt man wie dicht alles ist, begreift die Problematik, spürt die Philosophie die in dem Buch enthalten ist und merkt die Faszination.
    Ein Buch, das sicher besser in einen Urlaub mitgenommen werden sollte, bei dem man stundenlang Zeit zum lesen hat, als es in 30 Minuten Abschnitten zu lesen.
    Danke für diese tolle Rezension.

    Andrea

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  3. Kirsten

    Ein sehr interessanter Beitrag für die Blogparade und eine ausführliche und ehrliche Rezension. Viele wissenschaftliche Details finde ich in Büchern auch immer etwas anstrengend. Auf jeden Fall ist es toll, wenn Orte so einen Stellenwert für die Handlung haben. Umso spannender ist es dann, sie tatsächlich zu sehen.
    Liebe Grüße, Kirsten

    Antworten
  4. Catherine Madeleine Buchling

    Tolle, ausführliche Rezension. Habe das Buch vor ein paar Jahren gelesen und mich, dank deiner Hilfe, wieder an einige Details erinnert, die ich sonst wohl vergessen hätte. Mir ging es ähnlich wie dir: Ich fand die Geschichte an sich eigentlich sehr schön geschrieben, aber an machen Stellen dann doch auch etwas langatmig.

    LG Cat

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  5. Kirsten R.

    Liebe Andrea!
    Eine so schöne und intensive Buchrezension habe ich schon lange nicht mehr gelesen!
    Ich bin ganz versunken in deinen Blogpost!
    Lieben Gruß,
    Kirsten

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  6. Ascari

    Hey 🙂

    Irgendwie erinnert mich dein Bericht ein wenig an den dritten Teil der Jahrhundertrilogie von Ken Follett – Kinder der Freiheit. Da war das Thema "Trennung Schwarz und Weiß" auch ein sehr großes Thema (Bürgerrechtsbewegung, Freedom March, Martin Luther King etc.). Es muss eine ganz besondere Zeit gewesen sein … Schön, dass du gerade dieses Buch für die Blogparade gewählt hast!

    Liebe Grüße und danke für deinen tollen Beitrag (auch wenn ich schon anfange, mich mit diesem Satz zu wiederholen)!
    Ascari

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  7. Kerstin und ich

    Hallo Andrea,

    eine tolle Rezension. Ich fühle mich hin- und hergerissen: Lesen oder nicht lesen? Aber so hast du dich auch beim Lesen gefühlt, wenn ich deine Rezension richtig interpretiere, oder? Einiges klingt super spannend,interessant, lesenswert, anderes wiederum etwas langatmig, kompliziert, … .
    Vielleicht lade ich mir mal eine Leseprobe herunter und entscheide dann.
    Liebe Grüße,
    Kerstin M.

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    • Andrea Schroedter

      Ja, eine Leseprobe ist eine gute Idee. Ich wollte es einigemale einfach zu klappen aber dann kam wieder ein total schöner Abschnitt…

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  8. Kathrin Knieps-Vogelgesang

    Liebe Andrea, eine tolle Zusammenfassung des Buches! Und, dass Du in 30 Minuten Abschnitten gelesen hast, merkt man dem Text überhaupt nicht an! Liebe Grüße, Kathrin 🙂

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  9. Magdalena

    Liebe Andrea, mir ist es mit dem Buch genauso ergangen. Ich war hin und her gerissen zwischen Faszination und Ermüdung. Aber insgesamt ein Buch, dass die Zerrissenheit der amerikanischen Gesellschaft zeigt.
    LG
    Magdalena

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  10. Monika Thiede

    Liebe Andrea, vielen Dank für deine Zusammenfassung. Mit diesen Büchern, bei denen man hin und hergerissen ist, ist es meistens so…wenn man sie doch bis zu Ende gelesen hat, dann möchte man nichts missen. Und die Geschichte hört sich sehr interessant und voller Emotionen an. Danke, dass ich von diesem Buch jetzt auch weiß…
    Ganz liebe Grüße
    Monika

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