Lebensgeister {Rezension}

Manchmal habe ich das Gefühl, Bücher suchen sich ihre Leser selber aus. “Lebensgeister” kommt mir zu einer passenden Zeit in die Hände,…

Nach einem schweren Unfall und dem Verlust ihres Geliebten, versucht Sayoko wieder in ein normales Leben zurück zu finden. All ihre Pläne sind dahin, ein schönes Leben zu führen. Sayoko blickte kurzfristig in die Welt der Toten, traf ihren Großvater, der sie aber in die reale Welt zurück schickte. Seitdem ist alles anders. Die junge Japanerin kann Geister sehen. Was sie allerdings nicht verschreckt, sondern eher dazu bringt, sich mit dem Leben, der Liebe und den Beziehungen, auseinander zu setzen.

“Es gibt viele Menschen, die sich nach einer radikalen Änderung sehnen, aber nur wenige, die ihr wahres Wesen begreifen.” Seite 86

Mein Eindruck

Banana Yoshimoto schreibt locker vom Tod und den Erfahrungen, die ihre Hauptdarstellerin Sayoko durchleben muss. Mit leichter Feder beschreibt die Autorin das Trauma der Protagonistin und wie sie damit umgeht. Die Gefühle ihrer Hauptfigur sind teilweise so schön beschrieben, dass man immer wieder tief durchatmen muss und einfach nur genießt. Das gesamte Buch strotzt vor Lebensweisheiten und wunderschönen Beschreibungen. Die 160 Seiten sind eine wahre Wonne. Auch wenn es sich um ein schwieriges Thema, wie den Tod und das Leben, für die Zurückgebliebenen handelt, liest es sich sehr schnell und unterhaltsam. Banana Yoshimoto, die eigentlich Mahoko mit Vornamen heißt, zaubert mit ihren Worten lächelnde Gedanken.

“Wenn du zu weit nach vorne schaust, stolperst du. Verweile lieber im Moment, und gehe Schritt für Schritt deinen Weg.” Seite 111

Was mir auch sehr gefallen hat, sind die Fußnoten des Übersetzer. Banana Yoshimoto, benutzt häufig japanische Begriffe, die wir Europäer nicht kennen (können). Thomas Eggenberg, scheint mir ohnehin ein passender Übersetzer, für dieses Buch.

Lebensgeister
geschrieben von Banana Yoshimoto
im Diogenes Verlag erschienen
Paperback
160 Seiten
erschienen am 28. September 2016
ISBN 978-3-257-30042-0 

Die Zeit, die Zeit

Nicht immer muss ich neue Bücher lesen. Dieses hier, habe ich in der Kramkiste meines Buchdealers gefunden. Da ich Suter längst mal lesen wollte, kam mir das gerade recht. Vielleicht bringe ich dich auch auf den Geschmack…
Die Zeit existierst gar nicht. Sie ist ein, von den Menschen erfundenes Ding, dass die Veränderungen einfangen soll. Dem Leben einen Rhythmus geben soll. Ein Gerät, mit Zahnrädern und Federn, das dem Menschen vorrechnet, wie der Lauf der Veränderungen vor sich geht. So zumindest der Gedanke von Albert Knupp, einem schrulligen Alten,der Peter Taler gegenüber wohnt und 1991 seine Frau an den Krebs verloren hat. Knupp tut alles um die“Zeit”, oder besser die Veränderungen, rückgängig zu machen. Denn er hofft, so seine Frau wieder zurück zu bekommen. Peter Taler, jünger und selber seit einem Jahr Witwer, ist empfänglich für die verrückte Idee des Alten. Auch Peter ist über den jähen und gewaltsamen Tod seiner Frau längst nicht hinweg. Peter macht sich zudem den Vorwurf, nicht rechtzeitig da gewesen zu sein, um seine Frau retten zu können. Immer noch ist er auf der Suche nach dem Mörder.
Das war das erste Buch, das ich von Martin Suter gelesen habe und bin wirklich sehr angetan. Die Handlungsstränge sind klar und deutlich. Die Geschichte mit den vielen Figuren verständlich und man kann sich die Situation der beiden Hauptcharaktere sehr gut vorstellen. Die Verzweiflung, die beide Männer verspüren, welche sich an jede Möglichkeit klammern, um die Vergangenheit aufzuheben. Suter schaffte es den Roman für mich nie langweilig werden zu lassen. Die 297 Seiten sind recht schnell gelesen. Es ist bestimmt kein Meisterwerk, aber ein Buch, das sehr unterhaltsam ist. Wenn du glaubst, der Lösung nahe zu sein, dann dreht sich wieder alles. 
Roman, Diogenes Verlag,

304 Seiten
Erschienen im Nov. 2013
ISBN 978-3-257-24261-4

Der Trick

Ich habe diese Woche ein Buch über einen alten Zauberer gelesen. Ein schöner Roman, der einen auf jeden Fall auf seinem Leseplätzchen fesselt und man versucht ist, es in einem Rutsch durchzulesen. 
Die Geschichte beginnt in Prag. Laibl, ein Rabbi, muss sein Land im ersten Weltkrieg verteidigen und als er wieder fast unversehrt nach Hause kommt, verkündet ihm seine Frau, dass sie ein Kind bekommen. Ein Wunder ist geschehen. Obwohl Laibl vor vier Monaten doch noch keine Möglichkeit hatte Rifka, seiner Frau den Samen für dieses Wunder zu spenden. Da sie aber schon vor dem Krieg fleißig geübt haben, nimmt Laibl das Kind als ein Wunder an. Er versucht dem Jungen, der Mosche genannt wird, ein guter Vater zu sein. Mosche ist nicht unbedingt das perfekte Kind, das sich Laibl gewünscht hat. Aber schlau genug ist der Junge allemal. Als der richtige Augenblick gekommen ist, läuft der fünfzehnjährige Mosche weg und schließt sich einem Zauberzirkus an. 

„Die Menschen sind begierig darauf, getäuscht zu werden. Sie wollen an etwas Größeres glauben…. Die Magie ist eine wunderschöne Lüge.“ Seite 158



Gleichzeitig, liest man die Geschichte von Max in Los Angeles 2007. Max ist ein Zehnjähriger, der zeitweise ziemlich altklug daherkommt, der sich mit der Scheidung seiner Eltern auseinander setzen muss. Er gibt sich selber die Schuld an der Trennung der Eltern, denn er hat sich mit einem gefundenen Penny, das Verschwinden seines Vaters gewünscht. Was liegt da näher, als sich auf die Suche nach einem geeigneten Zauberer zu machen, der diesen Wunsch wieder rückgängig machen kann. Zufällig findet Max in den Sachen seines Vaters eine Langspielplatte von dem “Großen Zabbatini” einem Magier aus Europa. Nachdem er sich einen ausgiebigen Streit mit seiner Mutter geliefert hat, läuft Max weg und findet tatsächlich den Magier. Ob der ihm allerdings helfen kann, das möchte ich hier nicht erzählen.
“…Er war zu alt für dumme Kunststücke und Spielchen. Er war auf der Suche nach einer tieferen, schlichten Wahrheit….Alle Kunst strebt zur Schlichtheit.”Seite 294



Emanuel Bergmann verpackt eine schreckliche Geschichte in einem Mantel aus vielen lustigen Momenten, so dass man erst gar nicht merkt, wie dramatisch das Leben der beiden Hauptdarsteller eigentlich ist. Mosche hat es nicht leicht und wird zu einem knurrigen und egoistischen Menschen, der auch über Leichen gehen würde. Der sich durch eine schreckliche Zeit im Nationalismus schlägt und so tut, als ginge ihn das alles nichts an. Und am Ende eine Tat vollbringt, die man diesem selbstgerechten Menschen gar nicht zugetraut hätte. In der Moderne leidet Max so sehr unter der Trennung der Eltern, dass er zu unkonventionellen Mitteln greift, um seine heile Welt wieder herzustellen. 
Auch die Nebenfiguren sind von Herrn Bergmann so wunderbar gezeichnet, dass es eine wahre Freude ist dieses Buch zu lesen. Da ist das Omchen, das ihre Geschichte nie zu Ende erzählen durfte. (Manchmal sollte man eben zuhören!) Julia, die Freundin von Mosche, die das Leben des Magiers prägte und einen hässlichen Abgang hatte, um aus dem Leben Mosches zu verschwinden. Die Eltern von Max, die sich in ihrer Scheidung verloren haben und veränderten. Und so viele Andere, die diesen Roman sehr lebendig machen. Der Autor hat mich amüsiert und zugleich nachdenklich gemacht. Was macht unser Zusammenleben aus? Mal wieder zuhören, sich und mein Gegenüber wahr nehmen und auch den Illusionen hingeben, die das Leben einem präsentiert. 
“Der Trick” ist der erste Roman von Emanuel Bergmann. Ich hoffe sehr, dass das nicht sein letzter Roman gewesen ist. Wenn es seine Zeit als Lehrer und Übersetzer erlaubt, würde ich mir noch mehr solcher unterhaltsamen und tiefgründigen Romane von ihm wünschen.
Verlag : Diogenes
Fester Einband

Serenade

Eine große Liebe zwischen Mutter und Sohn!… 
Inniger kann eine Liebe nicht sein. Stoisch erträgt Bennie, die Anrufe der Mutter, die lebenslustig ihr Leben als Witwe meistert. Steht ihr Rede und Antwort, läßt sich nicht aus der Ruhe bringen, egal in welcher Situation oder Gelegenheit sie auch anrufen mag. Dann erfährt der Sohn, dass seine Mutter schwer krank ist: Anneken hat unheilbaren Krebs. Der Sohn und erfolgloser Komponist, möchte nicht, dass seine Mutter ihre Diagnose erfährt. Diese entwickelt einen besonderen Spass am Leben, verliebt sich neu und verschwindet Zeitweise in fremden Städten. Bennie wird angerufen und vor vollendete Tatsachen gestellt, wo sie sich aufhält. Aber eines Tages, ist die Mutter verschwunden, meldet sich nicht. Der Freund der Mutter macht sich große Sorgen, obwohl auch er nicht die Diagnose kennt. So macht sich der Sohn, mit dem Liebhaber, auf die Suche nach der Mutter. Bennie erfährt auf dieser Suche Dinge über seine Mutter, die er nie hören wollte, auch nie vermutet hätte.
Leon de Winter schreibt wundervoll leicht und unterhaltsam. Mit tiefgründigem Witz. Die Geschichte führt uns in die Nähe des Kriegsgebietes (1994) nach Split. Sarajevo liegt unter Beschuss und die Mutter möchte so dicht wie möglich an die Kampflinie. Dabei kommen Kriegstraumata der Mutter aus dem zweiten Weltkrieg zum Vorschein und werden sanft abgehandelt. Die Liebe des Sohnes, zu seiner Mutter, ist deutlich spürbar. 
Am Ende hatte ich Tränen in den Augen. Ein wundervolles Buch, das ich nur empfehlen kann.
Die Widmung auf der ersten Seite:
“Zum Gedenken an meine Mutter
Annie de Winter-Zeldenrust
1910 – 1994”

von Leon de Winter
Leon de Winter, 1956 Sohn armer niederländischer Juden geboren, begann schon als Jugendlicher zu schreiben. Er veröffentlichte mit 24 Jahren seinen ersten Roman. De Winter schreibt Erzählungen, Romane und Drehbücher, die er teilweise schon realisiert hat, so wie ›Der Himmel von Hollywood‹ unter der Regie von Sönke Wortmann. De Winter erhielt 2002 den Welt-Literaturpreis für sein Gesamtwerk und 2006 die  Buber-Rosenzweig-Medaille 

»Leon de Winter hat etwas zu erzählen, und er tut es so gut, daß man nicht genug davon bekommen kann.«Der Tagesspiegel

Roman, detebe 22972, 176 Seiten
Erschienen im Aug. 1997
ISBN978-3-257-22972-1

Das Sandkorn

Ein Mann geht durch die Straßen Berlins der zwanziger Jahre. Manchmal bleibt er stehen, greift in seine Taschen, zieht ein Beutelchen mit Sand heraus und streut ihn in auf die Straße, vermischt ihn mit dem Berliner Sand. Als man auf ihn aufmerksam wird, bringt man ihn in die „Rote Burg“, Berlins größte Polizeiwache dieser Zeit.

Quelle: Zenodot Verlagsgesellschaft mbH, 
Postkarte, Fotograf unbekannt 

Dort sitzt er Franz von Treptow, dem leitenden Kommissar gegenüber. Der Mann scheint verdächtig, soll mal erzählen…und Jacob Tolmeyn erzählt seine Geschichte. Nicht alles was Tolmeyn denkt, bekommt der Kommissar zu hören. Wir dürfen es aber lesen. Jacob ist vorsichtig, Tolmeyn hat gelernt sich zu verstellen. Er ist schwul und in dieser Zeit ist das eine Straftat. Darauf steht Gefängnis. Er erzählt über seine Forschungsreisen nach Italien auf den Spuren Friedrichs II. und wie er sich verliebt…
Seite 157: „die Leiter richtet sich zitternd und schwankend auf, nähert sich Grad um Grad der Lotrechten. Sie bleibt so eine Weile, in delikater Balance, gelehnt auf ein luftiges, federndes Kissen.“
Gleichzeitig werden uns die Gedankengänge des Kommissars erzählt. Franz von Treptow hat auch eine Geschichte. Er war Hauptzeuge bei dem *Eulenburg Prozess*. Dabei ging es um „die Freunde“, Homosexuelle, rund um den Kaiser. Welche gefährlichen Einflüsse diese auf den Kaiser gehabt haben. Treptow ist einer, der sehr genau hinsieht und zuhört. Nach seiner Ansicht, verbirgt jeder etwas. Er weiß längst, auf welchem Ufer Tolmeyn unterwegs ist.
Seite 319: „die 3 ist doch eine vermaledeite Zahl, denkt er, vor allem die Zwei in der Drei, die die einsame Eins macht.“
Mir hat das Buch sehr gut gefallen, es ist eines das man besser nicht weg legt. Es ist unglaublich blumig in alter Sprache geschrieben. Mit Worten, die teilweise schon fast vergessen sind. Das Buch verzaubert und entführt. Einmal darauf eingelassen, taucht man ab, in eine alte Zeit. Man begibt sich auf eine Reise durch Italien mit einem alten Bedaeker Reiseführer unter dem Arm.  Wenn man das Buch aufmerksam liest bekommt man auch noch eine kostenlose Reise durch Norditalien mit dem Beadeker Reiseführer aus dem Jahre 1910. Eine schöne Reise, die man sich unter den heutigen Begebenheiten nicht mehr vorstellen kann.

Die Geschichte scheint manchmal schwebend, wenn Tolmeyn erzählt. Bodenständig, wenn der Kommissar denkt und berichtet. Poschenrieders Sprache schickt uns auf eine Zeitreise in das Leben vor 100 Jahren. Herr Poschenrieder hat mich eingewickelt mit  seinen Sätzen.
»Das Sandkorn« wird nicht letzte Buch gewesen sein, dass ich von diesem Schriftsteller lesen werde.

Einige Male habe ich auch Wikipedia zu Rate gezogen, es tauchen alte Politiker und bekannte Personen in der Geschichte auf. Von dem Eulenburg Prozess hatte ich noch nie etwas gelesen, schade das man nur noch schlecht an die alten Zeitungsartikel heran kommt. In den Zwanzigern schwul oder lesbisch zu sein, stand unter Strafe, teilweise bis in die heutige Zeit. Und darum geht es in diesem Buch. Ich habe mir noch nie Gedanken um den Paragraphen 175 gemacht. Wusste nicht das er bis vor kurzem noch reell. Auf Wikipedia findet man mehr zum Thema § 175

Vielen Dank liebe Mara, das ich dieses Buch lesen durfte. Ich habe es gleich 2 mal gelesen 🙂

ISBN 978-3-257-06886-3

Diogenes Verlag