Reichskanzlerplatz

Seit 1963 trägt der Reichskanzlerplatz in Berlin einen neuen Namen, den des ersten Bundespräsidenten Theodor Heuss. Es gibt noch einige Bilder aus der Zeit als der Platz 1907 fertiggestellt wurde, mitten in einer unbebauten Gegend, am Rande Charlottenburgs, mit Springbrunnen und Bänken zum Ausruhen. Die U-Bahn hatte dort eine Haltestelle. Und einige Jahre später entstanden dort schöne, elegante Häuser und die Highsociety Berlins zog dort ein. Unter anderem Magda, die man später als Frau Goebbels ansprach. In dem Buch „Reichskanzlerplatz“ von Nora Bossong spielt der Platz ebenso wie die „erste Frau der Nation“ eigentlich nur eine Nebenrolle.

Der Reichskanzlerplatz

In dem Roman „Reichskanzlerplatz“ erzählt Hans Kesselbach aus seinem Leben. Er ist der Sohn wohlhabender Eltern. Der Vater war  in einer führenden Position im Ersten Weltkrieg. Er kam, wie viele der Männer, versehrt aus dem Krieg zurück, seiner Position enthoben, wurde er für Hans zu einer verstaubten, altmodischen Person. Die Mutter, immer um den Vater bemüht, redete dem Jungen Hans gut zu, eine gute Schulbildung und eine ordentliche Ausbildung zu machen. Die Eltern hatten keine Ahnung, dass der Junge sich zu Jungen hingezogen fühlte. Hans lernte schnell, dass man sich bedeckt halten muss, wenn man nicht ausgegrenzt werden möchte. Er verliebt sich in den Klassenkameraden Hellmut Quandt. Als Hans seinen besten Freund zu Hause besuchte, traf er auch auf Magda, wenig älter als die Jungen und schön anzusehen. Magda, (unehelich) geborene Behrend, adoptiert von Richard Friedländer, und nun verheiratet mit Günther Quandt. Bevor Magda den Großindustriellen heiratete, hatte die hübsche junge Frau eine Beziehung zu Chaim Arlosoroff, für den sie fast zum jüdischen Glauben konvertiert wäre.

Hans beging einen Fehler und verlor fast den besten Freund. Und dann geschieht doch noch ein Unglück und der junge Quandt verschwindet aus dem Leben Hans Kesselbachs. Hans leidet sehr unter dem Tod seines besten Freundes und er besucht oft Magda und beginnt eine Affäre mit der Frau, die bald an den Reichskanzlerplatz ziehen wird.
Die Menschen wenden sich immer mehr den Nationalsozialisten zu und Magda findet einen neuen Spielgefährten, der ganz oben in der neuen Rangordnung steht. Joseph Goebbels. Hans hat nur noch selten Kontakt zu Magda und erzählt, wie er sich durchschlägt, wie verborgen er seine Lust auslebt, sich verstecken muss, dass man seine homosexuelle Neigung nicht gegen ihn verwenden kann. …

Vorhang auf

Es war mir ein großes Vergnügen, die Sätze von Nora Bossong zu lesen. Sie hat eine tolle Art, die Dinge zu beschreiben, sie nicht direkt auszusprechen und doch versteht man sehr genau, was sie dem Leser sagen möchte. Sie schreibt Sätze wie Vorhänge, die man beiseiteschieben und sich seine eigene Wahrheit vorstellen kann. Nur ganz selten wird erwähnt, dass Hans schwul ist und was er dort im Tiergarten zur nächtlichen Stunde treibt. Zwischen den Zeilen wird es aber deutlich und man hat Bilder im Kopf, die unmissverständlich sind. Aber auch andere Situation werden so beschrieben und regen gnadenlos die Fantasie an. Die Gedanken schreiben im Kopf sozusagen die Geschichten weiter, ohne dass Nora Bossong sie niederschreiben musste.

Ich mag auch ihre Art, wie sie den Roman aufgebaut hat. Sie verarbeitet auf 296 Seiten zwanzig Jahre im Leben eines jungen Mannes, der unter Lebensgefahr im Nationalsozialismus lebt. Magda spielt sicherlich eine Rolle, aber Hans finde ich in diesem Moment auch viel spannender. Was mir nicht gefallen hat, ist der Klappentext, denn der suggeriert, dass es in diesem Roman um Frau Goebbels geht. Doch sie hat eigentlich nur eine Nebenrolle, ist der rote Faden, der sich durch die Geschichte zieht. Auch der Reichskanzlerplatz hat eine Nebenrolle, nur weil die ehemalige Frau Quandt einige Zeit dort exklusiv gewohnt hat. Es ist Hans, der seine Geschichte erzählt. Eine fiktive Geschichte. Denn niemand weiß, wer der Student war, der Magdas Liebhaber gewesen sein mag.

Nora Bossong hat für mich einen besonderen Roman geschrieben. Sie steht mit „Reichskanzlerplatz“ auf der Longlist des Deutschen Buchpreises, der am 14. Oktober 2024 verliehen wird. Ich finde, sie hat einen Preis mit diesem Buch verdient. Rubi und ich sind uns einig, das waren 🐭🐭🐭🐭🐭!

 

Reichskanzlerplatz

Ein Roman von Nora Bossong
aus dem Suhrkamp-Verlag
296 Seiten
ISBN 978-3-518-43190-0

Enid Blyton, Geheimnis hinter grünen Hecken

Was fällt dir spontan ein, wenn du Enid Blyton liest? Stimmt, Fünf Freunde oder die Schwarze Sieben. Als Kind habe ich ihre Bücher verschlungen. Kaum hatte ich die Bücher aus der Bücherei geholt, konnte ich sie schon wieder zurücktragen. Aber wer war Enid Blyton eigentlich? Interessiert das die jungen Leser? Mich haben damals nur ihre Bücher, ihre Geschichten fasziniert.

Buch Enid Blyton, Geheimnis hinter grünen Hecken und Rubi, die Maus

Enid Blyton, Geheimnis hinter grünen Hecken

Enid Blyton wird 1897 in London geboren. Sie ist das älteste Kind der Blytons und der Liebling des Vaters Thomas Blyton. Sie entstammt einer musischen Familie, wenn man dem Vater Glauben schenken mag. Er verhätschelt seine Tochter Enid. So behauptet jedenfalls die strenge Mutter, die es lieber sehen würde, wenn Enid sich mehr mit häuslichen Tätigkeiten und Pflichten beschäftigen würde. Die beiden kleinen Brüder sind darüber erhaben und dürfen vor dem Haus toben und Fahrrad fahren, während Enid sich mit abwaschen und Klavier üben plagt. Dabei würde sie doch viel lieber ihre Bücher lesen, mit dem Vater auf Entdeckungstour gehen oder sich Geschichten ausdenken. Das Mädchen hat jedenfalls eine enorme Fantasie. Schon mit vierzehn Jahren verschickt sie ihre Gedichte an die Zeitungen. Aber nur einmal wird ein Gedicht angenommen. Die Mutter lästert darüber, dass das Mädchen ihr gesamtes Taschengeld für Papier und Porto ausgibt.

Als der Vater die Familie für eine andere Frau verlässt, bricht eine Welt für das Mädchen zusammen. Niemandem darf von dieser Schmach erfahren. Einmal im Monat holt der Vater die Kinder ab und dann ist Enids Welt für einen Tag wieder heile. Danach versteckt sie sich wieder in ihrer Fantasiewelt und ihren Büchern. Enid ist ein schlaues Kind und schließt mit einer sehr guten Leistung die Schule ab. Der Vater hätte es gerne, dass sie Musik studiert, doch Enid will Schriftstellerin werden. Doch daraus wird zunächst nichts. 1916 beginnt Enid stattdessen eine Ausbildung zur Fröbel-Lehrerin. Einem Beruf, mit dem sie sich sehr identifizieren kann.

Die Autorin: Maria Regina Kaiser

Maria Regina Kaiser hat sich dieses Mal die englische Kinderbuchautorin Enid Blyton vorgenommen. Ich mag, wie die Autorin diese Biografien schreibt. Romanbiografien sind einfach nicht so langweilig und man hat das Gefühl Enid Blyton nahe zu sein und ihre Ambitionen zu verstehen. Sie beschreibt Enid Blyton als ein stures und fantasievolles Wesen. Wenn ihre Protagonistin sich in etwas verbissen hat, dann bleibt das auch so. Die Bücher von Maria Kaiser lesen sich schnell und sind nicht überladen mit Informationen. Ihre letzten Romanbiografien von Astrid Lindgren und Selma Lagerlöf hatte ich auch begeistert rezensiert.

Rubi und ich geben diesem Buch gerne 🐭🐭🐭🐭 Wir haben uns gut unterhalten gefühlt. Außerdem haben wir etwas über eine Lieblingsautorin meiner Kindheit erfahren. Immer wieder tauchen zu den „alten“ Büchern Rassismusvorwürfe auf, die ich als Kind niemals so gesehen habe. Heute werden sie oft umgeschrieben, verändert um sie Zeitgemäß zu machen. Warum Enid Blyton so geschrieben hat, dass kann man anhand dieser Biografie besser verstehen.

 

Enid Blyton, Geheimnis hinter grünen Hecken

von Maria Regina Kaiser
Romanbiografie
304 Seiten
ISBN 978-3-87800-159-1
aus dem Südverlag

Astrid Lindgren, eine Romanbiografie

Helle Nächte dunkler Wald

Quirlig und nicht zu halten ist die kleine Astrid. Kein Baum zu hoch und kein Abenteuer zu gefährlich. Astrid Ericsson ist 1912 fünf Jahre alt, als sie das erste Mal mit Märchen in Berührung kommt. Als Gutshofkind hat man keine eigenen Bücher. Ihre drei Jahre ältere Freundin Edit liest ihr aus einem Buch, das sie aus der Schule ausgeliehen hatte vor. Träumend sitzen die beiden Mädchen in der Küche.

Astrid geht bald selber zur Schule. sie lernt schnell und liest sehr gerne. Doch die Volksschule ist auch bald zu Ende. Madicken, die Tochter des Bankdirektors, drängte Astrid auf die Realschule zu gehen. Ziemlich unüblich für Kinder vom Land. Madicken’s Vater redete auf Astrids Vater ein, bis dieser sich dazu entschloss auch Gunnar, Astrids ältesten Bruder auf die weiterführende Schule zu schicken.

Astrid, ein Zappelphilipp

Astrid blieb ein Zappelphilipp. Kippeln, aufspringen, laut rufen, so kannte man das Mädchen. Als sie 13 war, schrieb sie so schöne Aufsätze, dass der Studienassessor sie immer wieder aufforderte, sie der Klasse laut vorzulesen. Eines Tages brachte er sogar einen dieser Aufsätze zu der kleinen Zeitung in Vimmerby. Mit einer kleinen Auflage von 5000 gedruckten Zeitungen, zwei mal die Woche eine kleine Zeitung. Dort sollte Astrid nach der Schule, sehr zum Leidwesen der frommen Mutter, als Journalistin anfangen. Das Zeitungswesen von der Pike lernen.

Ich könnte jetzt ohne Ende weiter über den gelesenen Text schreiben. So viel blieb in meinem Kopf über diese wunderbare quirlige Astrid Lindgren hängen. Wäre sie nicht schwanger geworden und nicht nach Stockholm geschickt worden, wäre sie dann die große Kinderbuchautorin geworden? Eine zweite Selma Lagerlöf, wie sie von den Kindern ihres Dorfes oft gerufen wurde?

Eine interessante Schriftstellerin

Maria Regina Kaiser schreibt in ihrem Nachwort noch einiges mehr über diese interessante Schriftstellerin. Ihr Leben war nicht nur Sonnenschein. Vielmehr litt Astrid Lindgren an Depressionen und fand den Gedanken zu sterben nicht abwegig. Astrid Lindgren hatte einen besonderen Bezug zu Kindern. Sie verstand die kleinen Menschen und sprach oft in ihrem Namen. Die schwedische Kinderbuchautorin wurde sehr oft mit Selma Lagerlöf verglichen. Allerdings bekam Astrid nie einen Nobelpreis für ihre Werke. Dabei las die ganze Welt die Bücher von Pipi Langstrumpf, den Brüdern Löwenherz oder Mio, mein Mio. (Und das ist nur eine kleine Auswahl von dem, was Lindgren geschrieben hat!)

Maria Regina Kaiser hat auf jeden Fall meinen Durst nach den schwedischen Kinderbüchern von Lindgren angefeuert. Die Liste ist lang! Die schwedische Autorin hat so Manches, das sie selber erlebt hat in den Kinderbüchern verarbeitet. Und dabei Mutmachbücher für Kinder hinterlassen.

Das Buch ist nur zu zwei Dritteln eine Romanbiografie. Im hinteren Teil, dem Nachwort, erklärt die die Autorin Maria Regina Kaiser noch das Leben von A. Lindgren. Es gibt Zeittafeln und Bilder. Die Menschen rund um Astrid werden noch einmal erläutert und so Manches mehr.

Ich mochte dieses Buch kaum aus der Hand legen! Es gehört definitiv zu meinen Sommerbüchern.
Ich habe schon einmal eine Romanbiografie von Maria Regina Kaiser rezensiert.

 

 

 

Astrid Lindgren, Helle Nächte dunkler Wald

eine Romanbiografie von Maria Regina Kaiser
Südverlag
312 Seiten mit Abbildungen
ISBN 978-3-87800-136-2

Die ganze Welt ist eine große Geschichte,

und wir spielen darin mit

Die ganze Welt ist eine große Geschichte, so kann ich mir vorstellen, sah Michael Ende tatsächlich die Welt. In ihrem Roman bringt uns Charlotte Roth den Schriftsteller, der 1995 starb, ein ganzes Stück näher. Zeigt uns, woher dieser geniale Schriftsteller vielleicht seine Ideen gezogen hat. Obwohl der Roman Die ganze Welt ist eine große Geschichte, und wir spielen darin mit eigentlich keine Biografie sein soll, so begleitet der Leser Michael Ende durch sein verzaubertes, fantasiereiches Leben. Unterstützt durch Roman Hocke, Michael Endes langjährigem Freund, Nachbarn und Lektor, bleibt die Story wohl sehr am wirklichen Leben des nicht nur märchenbuchschreibenden Michael Ende. Doch nimmt sich die Autorin heraus, die Geschichte so zu schreiben, wie sie es für richtig hält und nicht immer in einer chronologischen Reihenfolge bleibt. Eine Romanbiografie soll ja auch ein bisschen spannend bleiben!

Die Welt ist eine große Geschichte und wir spielen darin mit- Cover

Die große Geschichte

Schon Michaels Vater, Edgar Ende, war ein Künstler und sah die Welt mit anderen Augen. Seine Bilder waren anders, schwer zu verstehen und manch einem in den 1930er Jahren ein Dorn im Auge. Reich ist der junge Künstler damals nicht mit seiner Kunst geworden. Schwer verdaulich, abartig, wurde behauptet und wurden „entsorgt“. Und doch waren seine Bilder und die Fantasie dahinter eine eigene Welt, die der junge Vater an seinen einzigen Sohn Michael weiter gab. Die Beiden zogen in ihrer Fantasie in den Wald und sahen dort Feen und Gnome. Selbst als Michael später eigenständig und erwachsen war, begleitete ihn stets die Märchenwelt. Zu einem hübschen und frauenverschlingenden Mann geworden, versuchte er sich an verschieden kreativen Berufen. Aber am Ende, kam Michael Ende ans schreiben.

Charlotte Roth beschreibt ihren Protagonisten fast so, als hätte Ende seine eigene Geschichte aufgeschrieben. Geheimnisvoll, merkwürdig, fantastisch begleitet der Leser den unsteten und vielleicht auch ein wenig naiven Schreiberling durch sein Leben. Die deutschen Kritiker fanden selten ein gutes Haar an dem Autor, der Geschichten für kein bestimmtes Alter schreiben wollte. Seine Werke wurden dem Eskapismus zugeordnet. Obwohl die Welt seinen Jim Knopf und Lukas den Lokomotivführer, bis heute gerne liest.

Auch Momo oder Die unendliche Geschichte fanden in den Augen der Kritiker keine Anerkennung. Dabei gewann Michael Ende mit all seinen Büchern Preise (Jugendliteraturpreis…) Ich selber war großer Fan seiner Bücher und habe sie sehr oft gelesen und später meinen Kindern vorgelesen. Mutmacherbücher würde man sie heute nennen.

Die ganze Welt ist eine große Geschichte, und wir spielen darin mit

Der Roman ist eine große Geschichte! Und hat mit gut gefallen. Ich mag Biografien, die nicht einfach nur ein zusammentragen von Fakten sind. Mit ein bisschen Fantasie lässt sich aus all den Informationen ein schöner Roman zaubern. Die Autorin kann auf jeden Fall gut schreiben. Ihre Texte muten fast so an, als hätte Michael Ende sie selber zu Papier gebracht.

Charlotte Roth, Jahrgang 1965, ist gebürtige Berlinerin, Literaturwissenschaftlerin und seit zehn Jahren freiberuflich als Autorin tätig. Charlotte Roth hat Globetrotter-Blut und zieht mit Mann und Kindern durch Europa. Sie lebt heute in London, liebt aber Berlin über alles.
Ihr Debüt, „Als wir unsterblich waren“, war ein Bestseller, dem seitdem zahlreiche weitere Romane über Frauenschicksale vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte folgten.

Ein Roman von Charlotte RothDie Welt ist eine Große Geschichte und wir spielen darin mit, Tastatur
Eisele Verlag
432 Seiten
ISBN: 9783961610693

Ich habe es gerne gelesen und stelle es in das Regal zu den MaiBücher

 

 

⭐⭐⭐⭐