von Andrea Karminrot | Okt 9, 2017 | Rezension, Roman |
ein Roman von
Peter Keglevic
Laufen für den Führer
1000 km, mussten gelaufen werden, damit am Ende der Sieger, Adolf Hitler den Geburtstagsgruß überreichen durfte. Quer durchs Reich ging dieser Lauf. Täglich liefen die Athleten um die 50 km. In den “guten” Zeiten, liefen sehr viele Sportler mit. Auch, als schon alles verloren schien. 1944 startete noch einmal ein Trupp von über 70 Mann. Nur Vier von ihnen waren echte Athleten. Die Anderen, zusammengesucht, entbehrlich, was der Krieg und die Verteidigung des Landes zuließ. Unter ihnen, Harry. Ein Jude, der sich bisher, als “U Boot”, vor den Nazis verstecken konnte. Einkassiert, als er mit Anderen, versteckt Lebenden, gerade das Land verlassen wollte. Die Anderen, hatten kein so großes Glück an dieser Laufveranstaltung teilzunehmen. Sie würden, ohne Federlesen, einfach erschossen werden. Leni Riefenstahl, persönlich, schob den 23 jährigen in die Mitläufer, damit genügend Männer auf ihrem Film, den sie über den Lauf drehen wollte, dabei sind.
Harry Freudenthal, ist der Erzähler und er hat einen trockenen Humor, sehr trocken! Dass er wieder in seiner Heimatstadt Berlin laufen soll, erschreckt ihn eher weniger. Obwohl, er viel lieber aus dem Reich verschwinden wollte. Er versorgt sich mit der “besten” Kleidung aus einem Kleiderstapel, der den “einkassierten” Läufern zur Verfügung gestellt wird. Er sucht sich ein paar derbe Bergschuhe heraus und vertraut auf die vier Engel, die seine Bobe (Großmutter), ihm bei seiner Geburt an die Seite gestellt hat. Denn er ist mit einer Glückshaube geboren. Auch Leni Riefenstahl scheint ein Auge auf ihn zu haben. Die Regisseurin treibt die Läufer zusätzlich an, denn sie dreht einen Film über diesen Lauf, zu Ehren Hitlers Geburtstag.
Der Roman liest sich wirklich flott. Am Anfang, kamen mir zu oft einige sexistischen Einlagen vor, die sich aber im Laufe der Story in das Gesamtbild einfügen. Je weiter die Geschichte fortschreitet, und während Harry beim Laufen seine letzten Jahre überdenkt, um so mehr gefiel mir, was ich da las. Ironisch, mit trockenem schwarzen Humor garniert, las sich der Roman schnell und spannend. Grotesk, wie der Jude Harry mit den arischen Läufern durch ein Deutschland läuft, dass sich in Teilen ergibt, zerstört und marode.
Immer mehr, erfährt man über den Läufer Harry, der unter dem Decknamen “der Pilger” oder “Paul Renner” seine täglichen Kilometer läuft. Seine ganz persönliche Geschichte, wie er sich als Jude vor den Nazis retten musste. Wie ihm geholfen, oder er denunziert wurde. Immer mit einer gehörigen Würze von schwarzem Humor.
Der Autor, Peter Keglevic, hat 20 Jahre an diesem Roman recherchiert. Er ist selber die Strecke, die er sich erdacht hat, mal mit dem Fahrrad oder per Pedes abgelaufen. (Einen solchen Lauf gab es nie. Er ist fiktiv, eine Eingebung des Autors!) Er hat sich mit den damaligen Möglichkeiten auseinander gesetzt, die ein versteckt lebender Jude in der Naziherrschaft hatte.
Ich finde es grandios geschrieben. Und es würde mich nicht wundern, dieses Buch, eines Tages, verfilmt zu sehen.
Von Peter Keglevic
Gebundenes Buch
576 Seiten
ISBN: 978-3-8135-0727-0
Verlag: Knaus
Verlinkt mal wieder mit niwibo’s Buch und mehr
von Andrea Karminrot | Mrz 10, 2017 | Jugendbuch, Rezension |
»Mein Name ist Zucchini«, so stellt sich der kleine Ikare aus Frankreich vor. Seine Mutter arbeitslos, Alkoholikerin und fernsehsüchtig, kümmert sich seit ihrem Unfall kaum noch um den Jungen. Aufmerksamkeit bekommt der Kleine nur, wenn er etwas Dummes angestellt hat. Und das eigentlich täglich. Zucchini versteckt sich dann am liebsten auf dem Dachboden, da kommt die Mutter, mit ihrem kaputten Bein nicht hin. Eines Tages findet er in einer Kommode einen Revolver und will damit den Himmel erschießen, weil der, wie die Mutter immer sagt,
»Der Himmel, mein Kleiner, der ist so groß, damit wir nie vergessen, wie klein unsereins daneben ist.« (Seite 7)
Das Kinderbuch wird aus der Sicht des kleinen Zucchini erzählt. (Warum eigentlich Zucchini. Der Originaltitel heißt :Autobiographie einer Pflaume. Das idiomatische Pendant zur französischen courgette ist im deutschen die Pflaume oder Gurke. Da der gleichnamige Film sich für Zucchini entschieden hat, wurde die Neuauflage des Romans, dem Film angeglichen.) Der Roman liest sich, wie ein Neunjähriger sprechen würde, der nicht der intelligenteste ist. Zucchini hinterfragt viel und geht damit seiner Umwelt manchmal gehörig auf die Nerven. Es gibt so manchen Erwachsenen in der Geschichte, der auch ein gutes Bild macht. Die Erzieher in dem Heim sind oftmals wie eine Insel der Geborgenheit. Die Geschichten der Kinder werden, wie es Kinder sehen erzählt. Ohne große Details und so einfach wie möglich.
Mich hat das Buch sehr berührt. Nicht das ich Tränen in den Augen gehabt hätte. Durch die Erzählweise, sieht man die Grausamkeiten mit dem Kinderblick und kommt einfach damit klar.
Erst vor kurzem ist der Film zum Buch in den Kinos angelaufen. Die Verfilmung wird sehr gelobt, es wäre tragisch, traumatisch und berührend. Als Puppenfilm, sind die Figuren neutraler, was es für kleine Kinder zu einem einfachen Puppentrickfilm macht. Das Buch würde ich etwas älteren Kindern empfehlen. Es ist aber genauso gut für Erwachsene zu lesen.
Knaus Verlag
Gebundenes Buch mit Schutzumschlag
von Andrea Karminrot | Nov 4, 2016 | Rezension, Roman |
Lebe einzigartig und ohne Bedauern
Rachel ist eine starke Frau, die weiß was sie will. Sie ist aber auch einsam und wenn es ihr allzu trist wird und sie sich nach ein wenig “Liebe” sehnt, nimmt sie sich einen Kerl und holt sich, was sie braucht. Sie erforscht Wölfe und lebt in Amerika. Aber ihre wirkliche Heimat ist der Norden Englands, kurz vor der Schottischen Grenze. Dort ist sie geboren, als Tochter einer ebenso freien Frau, die ihrer Tochter das Starke mit auf den Weg gegeben hat. Aber Rachel ist auch einsam. Sie hat sich in ihrer Welt in Amerika gegen ihre Familie abgeschottet und lebt ihr eigenes Leben.
Als Wolfsforscherin hat sie sich einen Namen gemacht. Und so will sie ein reicher Engländer für sein Projekt, Wölfe wieder in den englischen Bergen anzusiedeln, für sich gewinnen und lädt Rachel zu sich, auf die Grafschaft ein. Rachel weiß was sie will, und das ist nicht, nach England zurückkehren. Und so wenig Kontakt mit ihrer Familie wie nur möglich. Aber das Angebot ist doch zu verlockend und so springt sie über ihren Schatten und siedelt nach England um.
“Anders, als er es normalerweise tun würde, geht er nicht auf das Geplänkel ein, sondern fixiert sie mit einem Blick, geduldig, schutzlos. Und das überzeugt sie, dass unter dem Schweigen doch mehr ist, etwas sehr Reales. Das Unaussprechliche ist stets lauter als das deutlich Erklärte.”
Seite 80
Es ist mir nicht schwer gefallen, mich in diesem Buch wohl zu fühlen. Ich mag starke Frauen, die ihren Weg gehen, selbstbewusst sind und sich nicht verschrecken lassen, nur weil da so ein Macho auftaucht. Rachel ist eine solche Frau. Die Widrigkeiten, die sie zu so einer Stärke gebracht haben, werden so nach und nach offen gelegt.
Allerdings habe ich mir mehr Wölfe in dem Buch vorgestellt. Wölfe die auf vier Beinen daher kommen. Aber ich habe den Verdacht, es geht hier mehr um die zweibeinigen Wölfe. Denn auch unter den Menschen gibt es solche Exemplare. Sie sind sozialisiert, wissen sich zu benehmen, aber wehe, sie werden losgelassen. In diesem Buch geht es um Konflikte, um soziales Miteinander, um Wildnis und etwas Politik und Sex.
“Das Altwerden ist nicht zum Lachen. Das kann ich dir sagen. Ich hasse es. Das wird dir genauso gehen. Steigt aus dem Bus aus, wenn es soweit ist.”
Seite 54
Ich habe jede Seite genossen und war gerne mit Rachel in ihrem Leben unterwegs. Ein schönes Buch, um mal so richtig abzuschalten und in schönen Gedankenbildern zu schwelgen. Sarah Hall kann schreiben und nimmt auch ihre Leser mit. Sie ist 1974 in Cumbria kurz vor der Schottischen Grenze geboren. Sie kennt also das Land und seine Menschen sehr gut, von denen sie schreibt.
Mir gefallen die originalen Cover allerdings besser.
geschrieben von Sarah Hall
übersetzt von Nikolaus Stingl
erschienen bei Knaus Verlag
448 Seiten
ISBN: 978-3-8135-0679-2
von Andrea Karminrot | Feb 4, 2016 | Regionales, Rezension, Roman |
Eiskalt sind die Hände, die Gedanken, das Haus…
Das ist Vera, in dem alten Haus am Deich, an der Elbe, in dem Alten Land. Als Kind kam sie als Flüchtling mit ihrer Mutter aus Masuren. Flüchtlingspack, wurden sie genannt. Veras Mutter hatte sich in das alte Haus gesetzt und der alten Ida Eckhoff, der Besitzerin des Hofes, erst den heimgekehrten Sohn abspenstig gemacht und dann, nachdem die Alte sich das Leben genommen hatte, dem Stiefvater das Kind überlassen, um sich selber nach Hamburg abzusetzen und ein neues Leben zu beginnen. Mit einem neuen Mann und Kind. Eiskalt lies sie ihr erstgeborenes Kind Vera bei dem Mann zurück, der nie schlafen konnte, weil ihn der Krieg stets einzuholen drohte. Vera wird nie heimig in diesem Gemäuer, es knarzt, stöhnt, spricht mit ihr. Sie ist wie Moos, das haftet und keine Wurzeln schlägt. Aber weg kann sie auch nicht. Im Dorf dreht man schon nicht mehr den Kopf, wenn Vera auf ihren Trakehnern über die geharkten Wege prescht. Man ist es nicht anders gewöhnt. Und dann taucht auch noch die Tochter ihrer viel jüngeren Schwester auf, wieder ein Flüchtling. Auf der Flucht mit ihrem Sohn, vor dem Mann der sie betrogen hat. Auf der Flucht vor ihrer Mutter, die ebenso eiskalt ist wie die Hände ihrer großen Schwester in dem kalten Haus am Deich. Sie sind einsam, die Frauen, die in diesem Haus leben und lebten.
Wir treffen in diesem Buch Menschen, die im Alten Land groß geworden sind, die in Plattdeutsch ihre Weisheiten von sich geben. Wir erhalten einen Einblick in ein Leben mit den naiven Großstadtflüchtlingen, die sich im alten Land einen Hof gekauft und diesen hergerichtet haben. Lesen von Frauen, die eiskalte Mütter hatten und selbst eiskalt sind, wenn es um ihre Töchter geht.
“Anne hörte sie poltern und musste an ihre Mutter denken, die es genauso machte: Das Gesicht verriegeln, kein Wort sagen, lieber die Dinge schreien lassen”
Einsam ist es dort am Deich. Aber manchmal gibt es auch einen winzigen Sonnenstrahl. Manchmal wird einem eine Hand gereicht und manchmal wird aus einem Maulfaulen ein guter Freund. Die Töchter sind auf der Suche nach den Müttern und deren Leben, von dem die Töchter keine Ahnung haben.
“Was wussten Töchter denn von ihren Müttern, sie wussten nichts.”
Der eigentliche Mittelpunkt ist das Haus. „Dit Huus is mien un doch nich mien, de no mi kummt, nennt’t ook noch sien“ So steht es über der großen Eingangstür eingeschnitzt. Das alte Fachwerk steht da schon seit Jahrhunderten. Es zerfällt langsam, wie die Landbevölkerung, die einsam auf ihren eigenen Höfen auf Familie und Anschluss hofft. Es hat ein eigenes Leben und könnte es eine Geschichte erzählen, wäre es wohl diese hier gewesen. Die Frauen in diesem Buch sind trotz Nackenschlägen stark, sie leben ein unabhängiges Leben und stehen mit beiden Füßen fest auf der satten Muttererde des Alten Land. Dörte Hansen hat ein tolles Bild von ihren Figuren gezeichnet. Kurz und knapp, witzig und knorrig. Der Roman wird aus der Sicht von verschiedenen Personen erzählt und bringt dadurch ein besonders Leben in die Geschichte. Ich fand es schade, als ich auf der letzten Seite angekommen bin. Ich kann es nur empfehlen.
Gebundenes Buch, 288 Seiten
Erschienen: 16.02.2015
ISBN: 978-3-8135-0647-1
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