Altes Land

04.02.2016 | Regionales, Rezension, Roman | 1 Kommentar

Eiskalt sind die Hände, die Gedanken, das Haus…

Das ist Vera, in dem alten Haus am Deich, an der Elbe, in dem Alten Land. Als Kind kam sie als Flüchtling mit ihrer Mutter aus Masuren. Flüchtlingspack, wurden sie genannt. Veras Mutter hatte sich in das alte Haus gesetzt und der alten Ida Eckhoff, der Besitzerin des Hofes, erst den heimgekehrten Sohn abspenstig gemacht und dann, nachdem die Alte sich das Leben genommen hatte, dem Stiefvater das Kind überlassen, um sich selber nach Hamburg abzusetzen und ein neues Leben zu beginnen. Mit einem neuen Mann und Kind. Eiskalt lies sie ihr erstgeborenes Kind Vera bei dem Mann zurück, der nie schlafen konnte, weil ihn der Krieg stets einzuholen drohte. Vera wird nie heimig in diesem Gemäuer, es knarzt, stöhnt, spricht mit ihr. Sie ist wie Moos, das haftet und keine Wurzeln schlägt. Aber weg kann sie auch nicht. Im Dorf dreht man schon nicht mehr den Kopf, wenn Vera auf ihren Trakehnern über die geharkten Wege prescht. Man ist es nicht anders gewöhnt. Und dann taucht auch noch die Tochter ihrer viel jüngeren Schwester auf, wieder ein Flüchtling. Auf der Flucht mit ihrem Sohn, vor dem Mann der sie betrogen hat. Auf der Flucht vor ihrer Mutter, die ebenso eiskalt ist wie die Hände ihrer großen Schwester in dem kalten Haus am Deich. Sie sind einsam, die Frauen, die in diesem Haus leben und lebten.
Wir treffen in diesem Buch Menschen, die im Alten Land groß geworden sind, die in Plattdeutsch ihre Weisheiten von sich geben. Wir erhalten einen Einblick in ein Leben mit den naiven Großstadtflüchtlingen, die sich im alten Land einen Hof gekauft und diesen hergerichtet haben. Lesen von Frauen, die eiskalte Mütter hatten und selbst eiskalt sind, wenn es um ihre Töchter geht. 

“Anne hörte sie poltern und musste an ihre Mutter denken, die es genauso machte: Das Gesicht verriegeln, kein Wort sagen, lieber die Dinge schreien lassen”


Einsam ist es dort am Deich. Aber manchmal gibt es auch einen winzigen Sonnenstrahl. Manchmal wird einem eine Hand gereicht und manchmal wird aus einem Maulfaulen ein guter Freund. Die Töchter sind auf der Suche nach den Müttern und deren Leben, von dem die Töchter keine Ahnung haben.

“Was wussten Töchter denn von ihren Müttern, sie wussten nichts.”


Der eigentliche Mittelpunkt ist das Haus. „Dit Huus is mien un doch nich mien, de no mi kummt, nennt’t ook noch sien“ So steht es über der großen Eingangstür eingeschnitzt. Das alte Fachwerk steht da schon seit Jahrhunderten. Es zerfällt langsam, wie die Landbevölkerung, die einsam auf ihren eigenen Höfen auf Familie und Anschluss hofft. Es hat ein eigenes Leben und könnte es eine Geschichte erzählen, wäre es wohl diese hier gewesen. Die Frauen in diesem Buch sind trotz Nackenschlägen stark, sie leben ein unabhängiges Leben und stehen mit beiden Füßen fest auf der satten Muttererde des Alten Land. Dörte Hansen hat ein tolles Bild von ihren Figuren gezeichnet. Kurz und knapp, witzig und knorrig. Der Roman wird aus der Sicht von verschiedenen Personen erzählt und bringt dadurch ein besonders Leben in die Geschichte. Ich fand es schade, als ich auf der letzten Seite angekommen bin. Ich kann es nur empfehlen. 
Gebundenes Buch, 288 Seiten
Verlag: Knaus
Erschienen: 16.02.2015

ISBN: 978-3-8135-0647-1

1 Kommentar

  1. Andrea

    Mir geht es da wie dir. Ich habe das Buch sehr gemocht und war traurig als es aus war.

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