Der Sprung, von Simone Lappert

Der Sprung

ein Roman von Simone Lappert

Simone Lappert schreibt gut durchdacht. Ihre Darsteller sind außerordentlich lebendig. Man kennt sofort jede Figur, die sie erfindet: Henry, der heimlich im Park lebt, ohne festen Wohnsitz ist. Felix der Polizist, der seiner schwangeren Frau nicht von seinem furchtbaren Tagen erzählen kann. Finn, der endlich aus der Stadt will und doch nicht gehen kann, weil er Manu liebt. Maren, die mit ihrem Mann nicht mehr auf einer Welle schwimmt. Theres und ihr Mann Werner, die einen sterbenden Tante-Emma-Laden führen.

Und noch einige Personen mehr, die alle etwas mit der Frau auf dem Dach zu tun haben, deren Schicksale miteinander verwoben sind. Manu ist diese Frau, die oben auf den Giebel eines Daches steht, um hinunter zu springen. In Gedanken hat sie den Sprung schon durchgemacht. Sie hat gespürt, wie es sich anfühlen muss, zu fliegen und auf dem Boden aufzukommen. Aber noch steht sie da oben. Und die halbe Kleinstadt guckt zu. Ihr Publikum möchte Manu zu einer Aktion überreden. Egal wie und was, sie soll da oben einfach nur runter kommen. Aber die junge Frau wehrt sich, wirft mit Gegenständen nach den Menschen zu ihren Füßen. Jede Aktion in diesem Buch zieht eine Reaktion hinter sich her. Einfach nur herrlich.

Verrückt sind immer die anderen, nicht wahr?

Simone Lappert hat so viel hintergründigen Witz. Sie schreibt spannend und unterhaltsam. Die 1985 geborene Schriftstellerin und Kuratorin für das Lyrikprojekt „Babelsprech.International“ bezaubert durch ihren Schreibstil. Die Schweizerin seziert ihre Charaktere mit einem feinen Gespühr und einer ordentlichen Portion sarkastischen Humor. Schauplatz, ist ein kleiner Ort im Schwarzwald. Finn, der Fahrradkurier beschreibt ihn so:

…Er kannte hier jede Straße, jeden Schleichweg, alle Aussichtspünktchen, Sackgassen und Drogenumschlagplätze, er kannte die Menschen und ihre Langeweile, die schnell zu seiner eigenen geworden war. Die meisten waren wie er selbst nicht wegen der Atmosphäre hier, sie waren Hängengebliebene, Abwartende oder Festsitzende. Diese Stadt war ein Umsteigebahnhof, eine Durchgangsstation… …Im Grunde fehlte es der Stadt an nichts, außer an etwas, das die Leute vermissten, wenn sie gingen…“ Seite 107

Die Autorin spielt mit den Worten. Beschreibt mit Aufzählungen, die den Leser nicht langweilen. Zeichnet Bildern, die so sehr zu dem Leben in dieser kleinen Stadt und den Charakteren passen, das kein Satz zu viel erscheint. Temporeich fressen sich die Mitspieler in mein Herz. Absurde Kombinationen, passend zum Leben. So wie Egon, der einsame, vegetarische Hutmacher, der seinen Laden aufgeben musste und nun in einem Schlachthof arbeitet. Die Menschen in diesem Roman wurden durch ihre Schicksale geprägt. Sie entwickelten sich zu pöbelnden, unangenehmen, selbstsüchtigen und sturen, stillen, aber auch traurigen Mitmenschen. Jeder Einzelne hatte mein Mitgefühl.
Vielleicht, war es aber auch der Hauch des Voyeurismus, der dieses Buch, für mich, zu einer Sucht werden ließ.

Für mich zählt dieses Buch zu meinen Highlights in diesem Jahr und somit gehört es auf jeden Fall in meine September-Bücher. und zu der Linkparty bei Monerl

aus dem Diogenes Verlag
Hardcover Leinen
336 Seiten
ISBM 978-3-257-07074-3 

Lied der Weite {Rezension}

ein Roman von

Kent Haruf

In einer Kleinstadt wird die 17 jährige Victoria von ihrer Mutter vor die Tür gesetzt, weil sie schwanger ist. Damit das Mädchen nicht auf der Straße leben muss, überredet die Lehrerin des Mädchens zwei alte Viehzüchter, Victoria bei sich aufzunehmen. Die McPherons sind freundlich, aber wortkarg und leben schon sehr lange alleine. Sie machen ihre Arbeit immer gemeinsam und verstehen sich ohne Worte hervorragend. Sie gehen darauf ein, das Mädchen bei sich aufzunehmen. Damit verändert sich Einiges auf der Farm der Alten.
Kent Haruf beschreibt das Leben in einer fiktiven Kleinstadt in Colorado, in der Nähe von Denver. Die Einwohner sind teilweise verschroben und haben noch nie viele Worte verloren. Er beschreibt seine Romanhelden mit knappen Worten und so Manches bleibt dem Leser verborgen. Alleine durch die Handlungen seiner Figuren, versteht man diese am Ende, oder kann seine Gedanken hinein interpretieren. Als Leser schwebt man förmlich über den Protagonisten.
Haruf schreibt, zart, humorvoll und unaufdringlich. Ich hatte ständig das Gefühl, über der Geschichte zu schweben. Immer wieder musste ich schmunzeln, vor allem über die McPherons-Brüder. Nie hatte ich das Gefühl, dieses Buch aus den Händen legen zu wollen. Die unaufgeregte Schreibweise, deutet auf einen Sturm hin, der aber niemals auftaucht. Trotzdem ist es auf keinen Fall langweilig und zieht einen magisch in diese Kleinstadt, mit dem Verlangen, mehr über seine Bewohner zu erfahren. Die Wortlosigkeit, die Stille und Weite spricht aus den Seiten.
Ein wunderbares Buch, mit der Erkenntnis, dass mit Worten und Taten Vieles geschaffen und verändert werden kann.

Roman aus dem Diogenesverlag

übersetzt von Rudolf Hermstein

384 Seiten

ISBN 978-3-257-07017-0

Verlinkt bei Niwibo