von Andrea Karminrot | Mrz 10, 2017 | Jugendbuch, Rezension |
»Mein Name ist Zucchini«, so stellt sich der kleine Ikare aus Frankreich vor. Seine Mutter arbeitslos, Alkoholikerin und fernsehsüchtig, kümmert sich seit ihrem Unfall kaum noch um den Jungen. Aufmerksamkeit bekommt der Kleine nur, wenn er etwas Dummes angestellt hat. Und das eigentlich täglich. Zucchini versteckt sich dann am liebsten auf dem Dachboden, da kommt die Mutter, mit ihrem kaputten Bein nicht hin. Eines Tages findet er in einer Kommode einen Revolver und will damit den Himmel erschießen, weil der, wie die Mutter immer sagt,
»Der Himmel, mein Kleiner, der ist so groß, damit wir nie vergessen, wie klein unsereins daneben ist.« (Seite 7)
Das Kinderbuch wird aus der Sicht des kleinen Zucchini erzählt. (Warum eigentlich Zucchini. Der Originaltitel heißt :Autobiographie einer Pflaume. Das idiomatische Pendant zur französischen courgette ist im deutschen die Pflaume oder Gurke. Da der gleichnamige Film sich für Zucchini entschieden hat, wurde die Neuauflage des Romans, dem Film angeglichen.) Der Roman liest sich, wie ein Neunjähriger sprechen würde, der nicht der intelligenteste ist. Zucchini hinterfragt viel und geht damit seiner Umwelt manchmal gehörig auf die Nerven. Es gibt so manchen Erwachsenen in der Geschichte, der auch ein gutes Bild macht. Die Erzieher in dem Heim sind oftmals wie eine Insel der Geborgenheit. Die Geschichten der Kinder werden, wie es Kinder sehen erzählt. Ohne große Details und so einfach wie möglich.
Mich hat das Buch sehr berührt. Nicht das ich Tränen in den Augen gehabt hätte. Durch die Erzählweise, sieht man die Grausamkeiten mit dem Kinderblick und kommt einfach damit klar.
Erst vor kurzem ist der Film zum Buch in den Kinos angelaufen. Die Verfilmung wird sehr gelobt, es wäre tragisch, traumatisch und berührend. Als Puppenfilm, sind die Figuren neutraler, was es für kleine Kinder zu einem einfachen Puppentrickfilm macht. Das Buch würde ich etwas älteren Kindern empfehlen. Es ist aber genauso gut für Erwachsene zu lesen.
Knaus Verlag
Gebundenes Buch mit Schutzumschlag
von Andrea Karminrot | Feb 14, 2017 | Rezension, Roman |
Mit seinen 27 Jahren weiß Corentin nicht wirklich was er will. Er hat sein Studium hingeschmissen und arbeitet im Sommer, zusammen mit seinem Patenonkel, als Hochzeitsfilmer. Hochzeiten, die groß gefeiert werden, mit allem was man sich vorstellen kann. Corentin hat die Aufgabe, die Brautleute vom morgendlichen Aufstehen, über den Frisörtermin, bis zum Ende der Hochzeitsfeier, mit der Kamera zu filmen. Dabei bekommt er Einblicke in die Wirklichkeit, hinter die Vorhänge der perfekten Hochzeit. Die Schwiegermütter sind aufgeregter, als die Braut. Bei den Gästen muss man acht geben, dass sie nicht aus der Reihe tanzen. Es gibt die verschiedensten Hochzeiten, spannende, außergewöhnliche und auch solche, die in Erinnerung bleiben. All das, wird von den Hochzeitsfilmern festgehalten.
Corentin hat selber kaum längere Beziehungen, an Heiraten ist gar nicht zu denken. Meistens werfen die Frauen ihm die Beziehung vor die Füße, da er wenig Zeit für sie hat. Die Hochzeiten fordern die Wochenenden. Während einer Hochzeit, bittet die Braut Corentin darum, ihre Liebeserklärung zu filmen. Diese Erklärung macht etwas mit dem jungen Franzosen, sie lässt ihn nachdenklich werden und er hat die Idee, seine Familie und seinen besten Freunde ebenfalls zu filmen, während sie einfach nur reden. Dabei eröffnen sich Dinge, die Corentin nie so gesehen hat, oder erahnt hätte.
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Keine Liebesgeschichte! |
Das ist das zweite Buch, das ich von Blondel gelesen habe. Die leichte und witzige Schreibweise, gefällt mir. Man könnte fast annehmen, er legt es darauf an, oberflächlich zu klingen. Dabei hat sein Roman eine gewisse Tiefe. Er zeigt einen jungen Mann, der ein Spiegel der jugendlichen Gesellschaft ist. Und nicht nur das, die Brautleute und deren Familienangehörige werden beleuchtet und gefilmt. Nicht immer besonders schön, mit ihren Macken, ihrer Arroganz und Überheblich- oder Unterwürfigkeit und Demut. Unschöne Wahrheiten können manchmal auch eine Hochzeit sprengen, das Leben zum Wanken bringen, weil man vergessen hat, die rosarote Brille abzunehmen. Blondel hat eine feine Art mit der Feder auf die Gesellschaft zu zeigen.
Für mich eine amüsante tiefgründige Lektüre, die einem das Wochenende verkürzen kann.
Verlag :Paul Zsolnay
Übersetzt von Anne Braun
ISBN: 9783552063334
Fester Einband
160 Seiten
von Andrea Karminrot | Jan 13, 2017 | Rezension, Roman |
Der ehemalige Kommissar Jovert, wird eines Tages von dem japanischen Rechtsanwalt, Herren Omura in dem Hausflur des gemeinsamen Pariser Wohnhaus abgefangen. Herr Omura sucht das Gespräch mit dem Franzosen, er möchte sich etwas von der Seele reden, das ihn schon seit Jahren belastet. Der Pensionär hat aber gar kein Interesse an der Geschichte des gebildeten Japaner. Selber gerade mit einem seltsamen Brief belastet, der ihn an seine Jugend und seine Vergangenheit erinnert, versucht er dem asiatischen Mann aus dem Weg zu gehen.
Am Ende sitzen die zwei alten Männer stundenlang zusammen und reden über ihre Vergangenheit, um ihre Seelen zu läutern.
Erzählt wird in der Gegenwart und aus der Vergangenheit, auf mehreren Ebenen. Konzentriert verfolgte ich die verschiedenen Geschichten, die unvorhergesehen in einander übergingen. Doch immer wieder war ich verwirrt, in welcher Vergangenheit ich mich gerade befand. Auf den letzten Seiten, las ich einen Satz, der das Geschrieben wunderbar beschreibt: “Er habe gespürt, wie sich seine Gedanken rückwärts durch sein Leben ergossen, von einer Erinnerung zur nächsten sprang, wie die reißende Strömung ihn mit sich davon trug… “ (Seite 331) Besser hätte ich es nicht beschreiben können. Ich kann es kaum glauben, dass der Schriftsteller Mark Henshaw kein Japanern ist. Die Sprache in seinem Buch erinnert sehr daran, an das Blumige, Umschreibende, Zarte und doch Brutale. Schön und verwirrend zugleich. In seiner Danksagung erwähnt Hanshaw zwei japanische Freunde, die ihm “Einsichten in das japanische Denken” vermittelten.
Mir hat das Buch anfangs wirklich große Schwierigkeiten gemacht. Zu viele fremde (japanische, französische) Namen und die verschiedenen Zeitsprünge verwirrten mich zu oft. Nach 100 Seiten gab es sich dann und machte süchtig. Wieder einmal traf ich auf Geschichtslücken meinerseits und nahm mir vor, mich mit dem Algerien Krieg 1957 auseinander zu setzen. (Ein Thema, das in dem Buch erwähnt wird und eine große Rolle spielt) Als einfache Literatur würde ich Der Schneekimono nicht bezeichnen. Es ist ein Buch das zweideutig ist, das mich nachdenklich gemacht hat. Wunderschön finde ich den Einband: das zarte Profil einer Japanerin auf blaugrauen Hintergrund. Einfach und schlicht.
von Andrea Karminrot | Jun 7, 2016 | Krimi, Rezension |
Über einem Olivenhain, mitten in der Provence, stürzt eine Propellermaschine der nahegelegenen Militärbasis ab. Capitaine Roger Blanc wird mit seinen Kollegen zum Unfallort gerufen und stellt fest, dass es wohl nicht nur ein Unfall war. Der Polizist wird mit seltsamen Begebenheiten konfrontiert, wie zum Beispiel einer Hexe und dass die Kollegen des abgestürzten Piloten, nicht um diesen trauern. Blanc hat so schon den Kopf voll, wenn es um seine Scheidung geht. Auch muss er mal endlich sein neues Domizil auf Vordermann bringen. Er ist noch nicht lange von Paris in die Provence versetzt worden. Aber diesen Fall, lässt ihn auch nicht kalt.
Capitaine Roger Blanc, ist die Hauptfigur in diesem Krimi aus Frankreich. Warum er aus der Hauptstadt auf das Land versetzt wurde, wird in diesem Buch nicht klar, aber irgendetwas muss vorgefallen sein. Ob es etwas mit seiner Affäre zu tun hat? Dieses Buch ist der dritte Fall, den Cay Rademacher sich ausgedacht hat. Aktuelle Themen, wie der Absturz des Airbus in den französischen Alpen, oder die Bedrohung durch Terroristen im eigenen Land, werden hier mit eingewoben. Spannend versucht der Flic, die Geheimnisse aufzulösen und lernt dabei seltsame Gestalten kennen. Cay Rademacher zeichnet ein schönes Bild von der Provence, das dazu verleitet die Koffer zu packen und dort hin zu reisen. Doch zeigt er auch die Probleme, die wie überall in Europa, in den Städten und wohl auch auf dem Land, existieren. Junge Leute, die verblendet durch ihre Armut oder Langeweile, radikal werden. Sich Gruppen zuwenden, die nichts Gutes im Sinn haben.
Wenn du denkst, du müsstest erst die anderen Bände lesen, um mit der Geschichte des Kommissar klarzukommen, dann kann ich dich beruhigen. Es ist nicht nötig, die Story ist in sich schlüssig und die wenigen Andeutungen, die vorkommen weben sich in die Geschichte ein, so das kein Bedarf besteht. Allerdings werde ich bestimmt die beiden ersten Bände lesen. Denn Cay Rademacher schreibt angenehm leicht und unterhaltend, teilweise auch recht komisch. Die 300 Seiten sind schnell gelesen und reißen mit.
von Cay Rademacher
Dumont Verlag
Ein Provence-Krimi mit Capitaine Roger Blanc (3)
304 Seiten , mit vierfarbiger Landkarte in der Innenklappe
ISBN 978-3-8321-9819-0
Dieses Buch hat mir so gut gefallen, dass ich es bei Nicole von Niwibo als mein Buch des Monats verlinke.
von Andrea Karminrot | Feb 26, 2016 | Rezension, Roman |
Vincent, in England ein erfolgreicher Geschäftsmann und Familienvater, wird von seiner Frau in seine Heimat nach Frankreich, zu seinen Eltern geschickt. In Frankreich fühlt er sich in die alten Muster seiner Kindheit zurückgedrängt. Er sieht seine ehemaligen Freunde wieder und beurteilt sie, obwohl er sie schon seit Jahren nicht gesehen hat. Er kritisiert das Leben, das seiner Eltern und das seines jüngeren Bruders. Und doch sind alle miteinander sprachlos, reden nicht über die Dinge, die gesagt werden sollten. Seine Schwägerin ist ihm schon immer etwas schwierig vorgekommen, doch wird sie die Einzige sein, die ihm endlich die Wahrheit sagt.
„Meine Mutter interessierte sich nämlich für fast alles und jeden _ Nachbarn, Verwandte, die Freunde ihrer Söhne, die Stadträte und Fernsehstars. Sie stürzte sich begeistert auf das Leben anderer, um ihr eigenes zu vergessen….“Seite 84
Jean-Philippe Blondel schreibt, wie sein Protagonist denkt. In kurzen, knappen Sätzen werden wir mit in die Vergangenheit genommen, bekommen einen Überblick woher Vincent stammt und was ihn dazu brachte nach England zu gehen. Blondel hat eine sehr unterhaltsame Art zu schreiben. Sarkastisch, nachdenklich, humorvoll, tragisch. Er lässt eigentlich nichts aus. Selbst die Liebe hat einen kleinen Platz in diesem Buch gefunden, obwohl es hier hauptsächlich um Freundschaft geht.
“…sobald er etwas getrunken hatte, zu blubberndem Champagner wurde. Zu einem spritzigen und sonnigen Wesen, das die Dinge sagt, die das Ohr erfreuen und deren Geschmack einem am Gaumen haften bleibt.”…Seite 24
Was mich fasziniert hat, Blondel beschreibt nicht haarklein, sondern deutet nur an, was sofort zu Kopfkino führt und die fehlenden Worte damit aufgefüllt werden. Er beschreibt in knappen Sätzen ganze Gefühlswelten.
In einem
Interview mit ihm habe ich gelesen, woher er die Ideen nimmt. Am liebsten sitzt er in Cafés und “belauscht” die Gespräche an den Nachbartischen. Am Ende sucht er ein Musikstück, das er während des Schreibens in Endlosschleife hört. Es wäre vielleicht auch für den Leser ein Versuch wert, wie sich das Buch mit diesem Song liest…”This is not a love song”
übersetzt aus dem Französischen von Anne Braun
Erscheinungsdatum: 01.02.2016
224 Seiten
Deuticke Verlag
Fester Einband
ePUB-Format
ISBN 978-3-552-06319-8