Tage ohne Ende

Wenn du wissen willst, wie es wirklich damals in Amerika, kurz vor dem Bürgerkrieg war, dann solltest du Tage ohne Ende lesen. Damals, als die Einwanderer, Amerika eroberten, die Ureinwohner des Kontinents hinweggemetzelte oder vertrieben wurden, Büffel nur aus Spaß getötet oder zarte Jungen als Mädchen verkleidet Bergarbeitern heile Welt vorgaukelten. Tage ohne Ende, ein Roman der in einer schnoddrigen Art geschrieben ist und kein Blatt vor den Mund nimmt, zeigt dem Leser, was man in einem Western nicht zu sehen bekommt.

Du blickst zurück auf all die endlosen Jahre, in denen dir dieser Gedanke nie gekommen war das tue ich jetzt in Tennessee, wo ich diese Worte aufschreibe ich denke an die Tage ohne Ende in meinem Leben.

Seite 45

Tage ohne Ende

Ich bekam dieses Buch von meiner Schwester geschenkt, mit den Worten, das musst du unbedingt lesen! Und nehme dir bitte am besten ein Wochenende frei, damit du es nicht weglegen musst. Ich habe es leider nicht beherzigt. Ich habe es in Etappen gelesen. Thomas McNulty und sein Freund John Cole haben sich, fast noch Kinder in einem Busch in der Pampa getroffen. Sie hatten Glück und kamen nicht ums Leben. Als Kinder im wilden Westen, da muss man schon echt was auf dem Kasten haben. Die beiden schmalen Jungen durften sich als Mädchen verkleiden und eine Show, in einem Saloon vorführen, dass sich die Bergarbeiter wie zu Hause fühlen konnten. So kann man sich auch ein paar Dollar verdienen.

Aber irgendwann wurde sie zu ungelenk, passten nicht mehr in die Mädchenrollen. So gingen sie zur Armee. Einem der schlechtbezahltesten Jobs in dem wilden Amerika. Aber die unzertrennlichen jungen Männer fanden immer wieder eine Möglichkeit zu überleben.
John und Thomas lernten mit schlechten Gewehren schießen, sie durften hungern und durch die Kälte über die Prärie ziehen. Sie schlachteten Menschen ab, die eigentlich harmlos waren. Sie schossen Büffel, um nicht zu verhungern. Die Truppen zogen von einem Camp zum nächsten Fort und wieder wurde getötet, und fast verhungert, lagen im Dreck und ließen sich durchfüttern. Die Jungen wurden erwachsen und durften den Dienst quittieren. Aber nicht lange und sie wurden in den Unabhängigkeitskrieg hinein gezogen.

Grausame Szenen

Der Autor Sebastian Berry hat hier einen speziellen Frontier Roman geschrieben. Der Hauptdarsteller beschreibt sein Leben und das seines Freundes mit „eigenen Worten“ und schnoddrigen Sätzen, als hätte er es wirklich selber geschrieben. Mit seinen ungebildeten, liebenswerten und grausamen Beschreibungen verdeutlicht der Roman, wie es damals zuging. Erst wird einfach draufgeschlagen und nachher gefragt, ob es richtig war. Andererseits haben die beiden Protagonisten ein solch zärtliches Miteinander und lieben ihre Freunde und Nachbar (soweit man sie ebenfalls friedlich leben lässt). Allerdings liest man auf den nächsten Seiten wieder, wie sie ohne Gnade einfach einem Menschen den Skalp abschneiden. Zart und brutal. Anstrengend und aufregend. Ich weiß nicht, in welche Schublade ich diesen wirklich guten Roman stecken soll. Wie meine Schwester schon gesagt hatte, den muss man lesen!

🐭🐭🐭🐭🐭 bekommt der Roman von uns. Aber nur, wenn du dir Zeit für diese Zeitreise nimmst.
Übrigens hat hier der Übersetzer wirklich ganze Arbeit geleistet, einen solchen Roman muss man erst einmal so gut übersetzten!

 

Tage ohne Ende

geschrieben von Sebastian Berry
Übersetzt durch Hans-Christian Oeser
256 Seiten
ISBN 978-3-95829-518-6

Der Zauber des Berges

Der Zauber des Berges fängt mich persönlich immer wieder ein. Kaum fahre ich in die Berge, entspannt sich mein ganzes System.
Dieses Phänomen hatte man schon, bei anderen Menschen und in früheren Zeiten festgestellt. Tuberkulosepatienten, die es sich leisten konnten, wurden in die Berge, in die Schweiz nach Davos geschickt. 1867 fuhren die Eheleute Holsboer mit dem Fuhrwerk die steilen, unebenen Straßen in das Tal hinauf. Margarete, die ätherisch anmutende junge Frau des Kaufmanns Willem Jan Holsboer litt an Tuberkulose und war dem Sterben näher als dem Leben. Willem würde alles für seine geliebte Frau machen und schwor, wenn sie am Leben bleiben sollte, dann würde er eine Eisenbahn bauen, die hinauf in das Graubündener Tal fuhr. Eine Eisenbahn, die dem Menschen die Anreise zu diesem besonderen Luftkurort einfacher machen soll.

Der Zauber des Berges

Margarete überlebt diese furchtbare Krankheit natürlich nicht. Nur wenige hatten damals das Glück, diese tückische Krankheit zu überstehen. Willem kann das Tal aber nach dem Tod seiner Frau nicht verlassen. Er hat immer noch das Gefühl, dass sie in seiner Nähe weilt. Er verbeißt sich in den Gedanken, eine Kurlandschaft entstehen zu lassen, die den angesehenen und reichen Patienten zu Wohlgefühl, ausreichend Luft und Gesundheit verhelfen soll. Seine (überdrehten) Ideen und Ambitionen, werden dem Bergvolk einige Fremde in ihre einsame und frische Bergwelt bescheren. Nicht jedem gefällt das und doch profitieren sie davon. Willem ist ein Kaufmann, der weiß, wie man sich verkauft. Seine Ideen können mit dem Geld der Schweizer Banken umgesetzt werden. Aber auch die meiste reichen und bekannten Persönlichkeiten bringen viel Geld mit, wenn sie in dem Tal genesen wollen. Und dann wagt er sich auch noch an das Abenteuer Eisenbahn.

Die Autorin

Der Roman wurde von Daniela Holsboer geschrieben. Sie ist mit dem Urenkel von Willem Jan Holsboer verheiratet. An einem lauen Sommerabend erzählte ihr Mann die Geschichte seines Großvaters und Daniela traf die Entscheidung, diese Geschichte zu einem Roman zu verarbeiten. Spannend, was dieser Mann auf die Beine gestellt hat. Interessant, wer alles in Davos war und den Zauber des Berges gespürt hat. Nicht nur Thomas Mann ließ sich zum Zauberberg inspirieren, sondern auch Robert Louis Stevenson schrieb während einer Schlechtwetterperiode die Schatzinsel in Davos. Willem Holsboer war immer mittendrin und unterhielt sich mit seinen Gästen. Spannend.

Und doch fand ich das Buch manchmal etwas langatmig und mir fehlte ein bisschen das Besondere. Es liest sich eben wie die Biografie Willem Holsboer und dem Ort Davos. Von uns bekommt der Roman 🐭🐭🐭 Rubi möchte jetzt, dass wir in die Berge reisen, das hat sie noch nie gesehen! Und die Beschreibungen in diesem Buch haben Reiselust gemacht.

 

 

Der Zauber des Berges

Autorin Daniela Holsboer
Verlag Tredition
368 Seiten
ISBN 978-3-384-17268-6

Die Schatten von Prag, Kischs erster Fall

Mitternacht war gerade vorbei, die wenigen Passanten nahmen keinerlei Notiz von ihnen. Sie hatten es geschafft, sich in aller Öffentlichkeit unsichtbar zu machen. Sie waren die Schatten von Prag.(Seite 164)

Die Schatten von Prag

Egon Erwin Kisch, der rasende Kriminal-Reporter, der für die renommierte Prager Tageszeitung Bohemia arbeitet, hat in diesem Buch eine Hauptrolle. Diese historische Figur sorgte dafür, dass ich mir den Krimi ausgesucht habe. Neben dem 1910 (realen) noch recht jungen Reporter, spielt eine fiktive Frauenfigur eine Rolle. Es ist die junge Medizinstudentin Lenka. Die junge Frau hatte vorübergehend in dem quirligen Berlin gelebt und als eine der wenigen Frauen Medizin studieren können. Aber als ihre Mutter langsam immer mehr in eine Demenz abdriftete, kam sie nach Prag zurück. Im Zug nach Prag traf Lenka auf eine faszinierende Frau, die ihr zum Ende eines Gesprächs, gegen das Heimweh ein Fläschchen mit Berliner Luft schenkte. Diese Frau sah Lenka in Prag wieder, als ein Mensch um Leben gekommen war. Hatte die vornehme Dame was mit dem Mord zu tun?

Kisch ist fast immer der Erste bei einem Mord. Er hat sich einige Prager Jungen als Nachrichtendienst organisiert, die ihm immer schnell Meldung machen, wenn wieder etwas passiert ist. Seine Reportagen sind spannend geschrieben und verhelfen dem Tageblatt zu einem guten Absatz. Kisch ist nicht unbedingt bei seinem neuen Vorgesetzten beliebt. Der Reporter darf sich bald nicht mehr mit den Kriminalfällen befassen und wird degradiert. Jetzt hat er noch mehr Zeit sich in Kaschemmen herumzutreiben, viel zu viel zu trinken und eine nach der anderen zu rauchen. Der junge Reporter ist hübsch und keine junge Frau mag ihm widerstehen. Das Morden hört aber nicht auf und Kisch versucht auf eigene Faust herauszubekommen, wer hinter dieser Mordserie steckt. Lenka wird ihm dabei (widerwillig) helfen.

Wenn ich nicht …

… zufällig im Radio ein Interview der beiden Autoren von „Die Schatten von Prag“ gehört hätte, hätte ich das Buch zugeschlagen, denn ich finde, es ist weit entfernt von einem Krimi. Ich habe statt einer Mordermittlung sehr viel über die damalige Zeit gelernt. 1910 zog der Halleysche Komet gerade seinen Schweif über die Erde und die Menschen waren recht irritiert. Sie vermuteten einen Weltuntergang oder andere Katastrophen. Die Welt war ohnehin im Umbruch und darüber wurden Bruchstücke der damaligen Geschichte immer wieder in dem Buch erwähnt. Kisch ist mir persönlich eine unangenehme Figur. Seine überhebliche Art machte es mir nicht leicht. Lenka fand ich schon viel sympathischer. Diese Figur zeigte, dass auch die Frauenwelt im Aufbruch war und sich nicht mehr alles gefallen lassen wollte.

Nur die Morde, eigentlich eine Mordserie, stand an hinterster Stelle. Viel drumherum, aber weniger ein Krimi.
Sicherlich ist „Die Schatten von Prag“ ein Buch, dass wenn man es liest, sehr informativ ist, mir fehlte es aber an Spannung. Es ist bestimmt auch richtig gut recherchiert, doch kenne ich mich mit Prag und der tschechischen Geschichte gar nicht aus.  So erklärte sich mir auch nicht der Umstand, dass die in Prag lebenden Menschen mal Tschechisch, mal Deutsch sprachen und das diese beiden Nationalitäten sich 1910 so gar nicht mochten.

Man hätte „Die Schatten von Prag“ nicht als Krimi deklariert sollen. Vielleicht hätte er mich dann abgeholt. So habe ich immer auf eine Mordermittlung gewartet. Meine Erwartungen waren anders. Ansonsten hatte der Roman seine wirklich informativen und unterhaltenden Seiten. Somit gibt es von Rubi und mir 🐭🐭🐭 und man findet es eher unter den historischen Büchern.

Die Autoren

Martin Becker macht leidenschaftlich gerne Radio, ist Kolumnist, Reporter und ist Literaturkritiker. „Die Schatten von Prag“ ist nicht sein erstes Buch. Zusammen mit Tabea Soergel haben die beiden 2016 schon den Deutsch-tschechischen Journalistenpreis gewonnen. Tabea Soergel schreibt Rezensionen und Radiofeatures, auch immer wieder zu tschechischen Themen.

 

Die Schatten von Prag

Ein Roman geschrieben von Martin Becker & Tabea Soergel
260 Seiten
aus dem Kanon Verlag
ISBN 978-3-98568-124-2

Tabakpech

Die Finger sind während der Erntezeit eigentlich immer mit Tabakpech verklebt. Man kann sie natürlich mit Seife und Bürste ordentlich schrubben, aber der Saft der Tabakpflanzen bleibt stets kleben. Wusstest du, dass Tabak auch in Deutschland angebaut wurde und wird?  Am Oderbruch bei Schwedt, wachsen die Pflanzen wegen des dort herrschenden Klima, besonders gut. Kennst du noch die Zigarettenmarke Salem? Die gab es in verschiedenen Qualitäten.

Tabakpech

Elfie wächst am unteren Odertal in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts auf. Dort, wo die Hugenotten den Tabak das erste Mal angebaut haben. Dort, wo ein ganzer Landstrich dazu übergeht, lieber das Kraut zum Rauchen zu pflanzen. Das Jahr ist vom Tabakanbau geprägt. Schon im Winter werden die Samen bestaunt und gepflegt, im Frühjahr in den Frühbeeten gezogen und bald nach den Eisheiligen in die Erde gebracht. Dazu wird auf der kalten Erde gekniet und die Stecklinge mit Abstand gepflanzt. Im Sommer werden die Blüten und unnützen Blätter gekappt, damit die Pflanzen groß und kräftig werden … eine langwierige Prozedur. Die Hoffnung, dass es nicht hagelt, keine Sturzfluten vom Himmel fallen oder es gar zu trocken werden könnte, hält die Bauern in Atem. Nach der Ernte müssen die Blätter schnell mit dicken Nadeln auf Schnüre gezogen werden, damit der Tabak, aufgehängt in den Dachböden, trocknen kann.

Elfie wollte eigentlich Sängerin werden, in Berlin. Sie hat eine schöne Stimme, behauptete ihr Lehrer. Doch immer kommt etwas dazwischen. Erst ist es der Krieg, dann fehlt das Geld für das Dach der Scheune. Und dann bindet sie sich an einen Mann aus dem Dorf und wird schwanger, ein anderer wird übergriffig und immer ist es der Tabak, der die Menschen in Atem hält oder sie zur Ruhe zwingt. Das Tabakpech klebt dabei immer an den Fingern, spätestens wenn man die Pflanzen mit einem geübten Kniff ihrer Blüten beraubt.

Ich habe das Buch in einem Rutsch durchgelesen und mochte die Figur der Elfie sehr. Ihre Lebensgeschichte machte mich ein bisschen betroffen und doch auch immer wieder ein bisschen stolz auf diese toughe Frau, die sich durch wirklich anstrengende Zeiten schlug. Dabei war das Tabakpech an den Fingern vielleicht auch nur ein Pseudonym. Das Leben besteht eben nicht immer aus einer Glückssträhne. Aber auch die anderen Figuren sind, bis auf wenige angenehm und interessant. Die Autorin hat diesen Roman sehr feinfühlig geschrieben. Natürlich steht immer der Tabak im Vordergrund. Das Buch beginnt mit der Gegenwart und lässt dann den Leser in die Vergangenheit schauen. Am Ende versteht man den Romananfang und das Ende so viel besser. Denn Elfie hat den Tabak schon immer gehasst. Er war es, der ihren Wünschen und Träumen immer ein Ende gesetzt hat.

Jetzt verstehe ich auch viel mehr von den Tabakpflanzen und wie aufwendig der Anbau ist. Alleine kann man das nicht bewältigen. Zusammenhalt ist eben doch wichtig. Ich mochte das Buch, es hat sich schnell gelesen und hat Spaß gemacht. Demnach vergeben wir 🐭🐭🐭🐭

 

Tabakpech

Ein Roman von Eva-Martina Weyer
Roman
mit farbigen Illustrationen von MI
STROUX edition, München
280 Seiten, Hardcover, € 25,00 [D]
ISBN 978-3-948065-38-6

Reichskanzlerplatz

Seit 1963 trägt der Reichskanzlerplatz in Berlin einen neuen Namen, den des ersten Bundespräsidenten Theodor Heuss. Es gibt noch einige Bilder aus der Zeit als der Platz 1907 fertiggestellt wurde, mitten in einer unbebauten Gegend, am Rande Charlottenburgs, mit Springbrunnen und Bänken zum Ausruhen. Die U-Bahn hatte dort eine Haltestelle. Und einige Jahre später entstanden dort schöne, elegante Häuser und die Highsociety Berlins zog dort ein. Unter anderem Magda, die man später als Frau Goebbels ansprach. In dem Buch „Reichskanzlerplatz“ von Nora Bossong spielt der Platz ebenso wie die „erste Frau der Nation“ eigentlich nur eine Nebenrolle.

Der Reichskanzlerplatz

In dem Roman „Reichskanzlerplatz“ erzählt Hans Kesselbach aus seinem Leben. Er ist der Sohn wohlhabender Eltern. Der Vater war  in einer führenden Position im Ersten Weltkrieg. Er kam, wie viele der Männer, versehrt aus dem Krieg zurück, seiner Position enthoben, wurde er für Hans zu einer verstaubten, altmodischen Person. Die Mutter, immer um den Vater bemüht, redete dem Jungen Hans gut zu, eine gute Schulbildung und eine ordentliche Ausbildung zu machen. Die Eltern hatten keine Ahnung, dass der Junge sich zu Jungen hingezogen fühlte. Hans lernte schnell, dass man sich bedeckt halten muss, wenn man nicht ausgegrenzt werden möchte. Er verliebt sich in den Klassenkameraden Hellmut Quandt. Als Hans seinen besten Freund zu Hause besuchte, traf er auch auf Magda, wenig älter als die Jungen und schön anzusehen. Magda, (unehelich) geborene Behrend, adoptiert von Richard Friedländer, und nun verheiratet mit Günther Quandt. Bevor Magda den Großindustriellen heiratete, hatte die hübsche junge Frau eine Beziehung zu Chaim Arlosoroff, für den sie fast zum jüdischen Glauben konvertiert wäre.

Hans beging einen Fehler und verlor fast den besten Freund. Und dann geschieht doch noch ein Unglück und der junge Quandt verschwindet aus dem Leben Hans Kesselbachs. Hans leidet sehr unter dem Tod seines besten Freundes und er besucht oft Magda und beginnt eine Affäre mit der Frau, die bald an den Reichskanzlerplatz ziehen wird.
Die Menschen wenden sich immer mehr den Nationalsozialisten zu und Magda findet einen neuen Spielgefährten, der ganz oben in der neuen Rangordnung steht. Joseph Goebbels. Hans hat nur noch selten Kontakt zu Magda und erzählt, wie er sich durchschlägt, wie verborgen er seine Lust auslebt, sich verstecken muss, dass man seine homosexuelle Neigung nicht gegen ihn verwenden kann. …

Vorhang auf

Es war mir ein großes Vergnügen, die Sätze von Nora Bossong zu lesen. Sie hat eine tolle Art, die Dinge zu beschreiben, sie nicht direkt auszusprechen und doch versteht man sehr genau, was sie dem Leser sagen möchte. Sie schreibt Sätze wie Vorhänge, die man beiseiteschieben und sich seine eigene Wahrheit vorstellen kann. Nur ganz selten wird erwähnt, dass Hans schwul ist und was er dort im Tiergarten zur nächtlichen Stunde treibt. Zwischen den Zeilen wird es aber deutlich und man hat Bilder im Kopf, die unmissverständlich sind. Aber auch andere Situation werden so beschrieben und regen gnadenlos die Fantasie an. Die Gedanken schreiben im Kopf sozusagen die Geschichten weiter, ohne dass Nora Bossong sie niederschreiben musste.

Ich mag auch ihre Art, wie sie den Roman aufgebaut hat. Sie verarbeitet auf 296 Seiten zwanzig Jahre im Leben eines jungen Mannes, der unter Lebensgefahr im Nationalsozialismus lebt. Magda spielt sicherlich eine Rolle, aber Hans finde ich in diesem Moment auch viel spannender. Was mir nicht gefallen hat, ist der Klappentext, denn der suggeriert, dass es in diesem Roman um Frau Goebbels geht. Doch sie hat eigentlich nur eine Nebenrolle, ist der rote Faden, der sich durch die Geschichte zieht. Auch der Reichskanzlerplatz hat eine Nebenrolle, nur weil die ehemalige Frau Quandt einige Zeit dort exklusiv gewohnt hat. Es ist Hans, der seine Geschichte erzählt. Eine fiktive Geschichte. Denn niemand weiß, wer der Student war, der Magdas Liebhaber gewesen sein mag.

Nora Bossong hat für mich einen besonderen Roman geschrieben. Sie steht mit „Reichskanzlerplatz“ auf der Longlist des Deutschen Buchpreises, der am 14. Oktober 2024 verliehen wird. Ich finde, sie hat einen Preis mit diesem Buch verdient. Rubi und ich sind uns einig, das waren 🐭🐭🐭🐭🐭!

 

Reichskanzlerplatz

Ein Roman von Nora Bossong
aus dem Suhrkamp-Verlag
296 Seiten
ISBN 978-3-518-43190-0

Feuer und Erz

Hendrik Lambertus hat einen neuen historischen Roman geschrieben. Feuer und Erz führt den Leser direkt in das Jahr 1472 zurück. In den Harz, in die Erz- und Kupfergruben bei Goslar. Wer mich kennt, weiß, dass ich historische Bücher gerne lese. Und noch lieber, wenn es noch etwas dabei zu staunen und lernen gibt.

Feuer und Erz

Cordt Fredemann ist der Sohn eines Grubenmeisters und muss derzeit seinen Vater in der Grube vertreten, da dieser krank zu Hause bleiben muss. Die Hauer trauen dem jungen Mann nicht viel zu, denn Cordt fehlt eine Hand, die er mit einem praktischen Haken versehen hat. Auch wenn der junge Mann recht geschickt damit umgehen kann, behindert es ihn dabei, ordentlich in der Grube mitzuarbeiten.
Die Bergleute zünden am Wochenende ein Feuer in den Schächten an, um das Gestein „aufzuweichen“ locker zu machen. Dann kann man es am nächsten Werktag verhältnismäßig leicht abklopfen. In einer unterirdischen Halle werden Säulen stehen gelassen, damit das Grubendach nicht einstürzt und doch hatte der Oberhauer beschlossen, an genau einer dieser Säulen das Feuer aufzustellen. Und natürlich bricht in einem schlechten Moment das Dach der Grubenhalle über einem jungen Hauer ein und erschlägt diesen.

Nicht genug damit hat der Grubenmeister Fredemann Geldsorgen. Die Mine wirft nicht mehr ausreichend ab und er ist schwer krank. Wie soll das bloß alles weitergehen? Doch dann findet sein Sohn Cordt bei der Grubenispektion einen Schatz. Damit könnte man die Schulden begleichen. So könnte der Grubenmeister den Hauern etwas unter die Arme greifen und dem aufdringlichen Kaufmann aus Goslar, der die Grube kaufen will, ein Schnippchen schlagen. Wenn das doch mal alles so einfach wäre!

Cordt und seine Schwester machen sich auf den Weg, das Silber einschmelzen zu lassen. Im Wald werden sie aber von Räubern überfallen und können ohne den Schatz fliehen. Sie verirren sich und treffen auf einen Menschen, der ihnen aus ihren Gelssorgen helfen kann.

Spannende Zeitreise

Hendrik Lambertus schreibt einfach spannende Geschichten. Dazu verwebt er tatsächlich Geschehenes mit einer Portion Fantasie und lässt Geschichte aufleben. Immer wieder bin ich erstaunt, was man aus seinen Büchern lernen kann, ohne dass man das Gefühl hat belehrt zu werden. Schon das Buch Das Erbe der Altendieks fand ich spannend geschrieben. So mag ich Geschichte! Weil wir Geschichte in Romanform lieben und Feuer und Erz wirklich spannend und unterhaltsam geschrieben ist, bekommt der Roman von uns 🐭🐭🐭🐭

Der Autor

Der Autor Hendrik Lambertus liebt es, sich neben der Forschungsliteratur auch von konkreten Artefakten und Fundstücken inspirieren zu lassen er habe bei der Arbeit an Feuer und Erz wieder großzügig darauf zurückgegriffen, wer bei einem Besuch in Goslar und am Rammelsberg die Augen offen hält, kann nicht nur manche Orte aus dem Roman wiedererkennen, sondern auch viele der vorkommenden Gegenstände entdecken, die etwa im Stadtmuseum ausgestellt sind.

 

Feuer und Erz

geschrieben von Hendrik Lambertus
aus dem Rowohlt Taschenbuch Verlag
560 Seiten
ISBN: 978-3-499-01260-0